Sonntag, 30. Januar 2011

Der arabische Frühling, oder: Bye bye Mubarak!

Mubarakzentrismus in ägyptischen Medien
Hosni Mubarak ist 82 Jahre alt und färbt sich die Haare. Er ist seit 1981 ägyptischer Diktator und hat nie mit einem Schwert in der Hand zum Jihad gegen die USA aufgerufen. Das reicht, um es zum strategischen Partner der Amerikaner in der Region zu bringen. Im Democracy Index 2010 steht sein Land auf Platz 138 von 167, zwei Plätze hinter China. In Ägypten verschwinden Menschen. Das geschieht anderswo auch, aber dort beschwert man sich, meistens. Der Westen hat Mubarak immer geschützt. Er gilt als verlässlicher Stabitlitätsfaktor im arabischen Raum. Das ist heute schon viel wert. Vor allem aber bietet er keinen Islamisten Unterschlupf, hat kein geheimes Atomprogramm und mit Israel einen Friedensvertrag abgeschlossen. Da darf man schon einmal ein bisschen foltern lassen. Korruption gehört natürlich zum arabischen Präsidialgeschäft wie der Personenkult und braucht eigentlich nicht extra erwähnt zu werden. Letzterer gipfelte vergangenes Jahr in einem Photoshopfauxpas nach einem Treffen Mubaraks mit  US-Präsident Obama, dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu, Palästinenserpräsident Abbas und König Abdulla II. von Jordanien. Mubarak wurde von der ägyptischen Staatspresse vom linken Rand in die Mitte des Bildes retuschiert, als würde er die Delegation anführen. Das dürfte das politische Verhältnis zu den Konferenzteilnehmern nicht belastet, aber doch zumindest für einiges Schmunzeln gesorgt haben.

Weil Mubarak es dem Westen abgesehen von seiner medialen Geltungssucht also leicht macht, ist er bei den Islamisten nicht sonderlich gut angeschrieben. Die ägyptische Muslimbruderschaft, die größte und daher verbotene Oppositionspartei, ist schon seit der britischen Kolonialzeit ein politischer Faktor im Land. Obwohl sie erklärt habe soll, im Falle eines Regimewechsels nicht an einer neuen Regierung teilnehmen zu wollen, ist das noch kein Grund zum aufatmen. Die Frage, ob die Muslimbrüder ein eventuell entstehendes Machtvakuum für sich nutzen könnten, dürfte zurzeit etliche westliche Staatskanzleien umtreiben. Insbesondere Israel ist über die Demonstrationen und eine mögliche Ablöse Mubaraks nicht besonders begeistert. Verständlich: Israel hat nicht gerade viele Freunde in der Region. Da freut man sich schon, wenn man sich mit einem Nachbarn zumindest arrangieren konnte, auch wenn der seit 30 Jahren mit Notstandsrecht regiert. Unbemerkt von der Weltöffentlichkeit machen viele Israelis Urlaub beim Nachbarn, weil dort die Sicherheitslage bisher in der Umgebung am besten war. Ägypten hat auch in Sachen Grenzzaun zum Gazastreifen immer wieder mit Israel kooperiert. Die Islamisten freut das natürlich nicht im geringsten. Mubarak geht gegen sie mit äußerster Brutalität vor. Das Schlagwort Terrorismusbekämpfung erlaubt seit dem 11. September 2011 sehr viel. Amnesty International berichtet im Jahr 2006 über das Verhör eines  aus Italien entführten Terrorverdächtigen:
„Im April wurde der als Abu Omar bekannte Osama Mostafa Hassan Nasr dem Staatsanwalt vorgeführt. Zum ersten Mal seit seiner Entführung aus Italien im Februar 2003 war es ihm erlaubt, zu dem Verhör einen Anwalt hinzuzuziehen. Er schilderte seine Verschleppung aus Italien und die ungesetzliche Rückführung nach Ägypten. Abu Omar gab an, während seiner geheimen Haft in Ägypten gefoltert worden zu sein. Man habe ihn unter anderem extremen Temperaturunterschieden ausgesetzt und ihn mit Elektroschocks an den Genitalien gequält.“ AI
Auch wenn hier natürlich Aussage gegen Aussage stehen dürfte: Ägypten findet sich auch auf der Liste jener Staaten, in denen die CIA mutmaßlich Verdächtige foltern ließ. Ein vom Schweizer Geheimdienst abgefangenes Fax des ägyptischen Außenministers an die ägyptische Botschaft in London sprach von 23 irakischen und afghanischen Gefangenen, die von den USA auf einen Militärstützpunkt an der rumänischen Schwarzmeerküste verbracht worden seien. Die Menschenrechtssituation im Land am Nil ist fatal. Was es den Ägyptern erlaubt die einfachsten Grundrechte mit Füßen zu treten, ist ihr bisher positives Verhältnis zum Westen. Auch wenn Barak Obama Mubarak mittlerweile zu Reformen aufgefordert hat, Menschenrechte und Demokratie sind oft nur ein politisches Argument in der Auseinandersetzung zweier Staaten. Zugegeben: Ägypten hätte nicht die Steinigung von Eherbrecherinnen legalisieren können, ohne internationalen Protest hervorzurufen, aber es durfte weiter gehen, als nicht befreundete Staaten, ohne Kritik ausgesetzt zu werden.

Selbiges gilt für das nunmehr befreite Tunesien, das unter seinem Potentaten Ben Ali im Democracy Index 2010 mit Platz 144 noch hinter Ägypten landete. Im Verzeichnis über die weltweite Pressefreiheit erreichte es gar nur Platz 164 von 178, Ägypten war immerhin noch auf Platz 127 gelandet, 13 Stellen vor Russland und fünf vor dem israelischen Siedlungsgebiet im Westjordanland. Mubarak mag vielleicht nicht gerade der Musterknabe für Anitkorruption sein und Ägypten mag im Weltkorruptionsindex mit Platz 98 von 178 noch hinter Tunesien (Platz 59) liegen, aber dass sich die Gattin eines Präsidenten von den Behörden sämtliche Geschäfte über der Höhe von 500.000 Dinar (ca. 250.000€) melden ließ, um daran mitschneiden zu können, dürfte sogar für den arabisch-nordafrikanischen Raum eine Einmaligkeit gewesen sein. Leïla Trabelsi hat sich vor ihrer Abreise aus Tunesien mit 1,5 Tonnen Gold getröstet. Hungern wird sie daher wohl auch im Exil nicht müssen. Ihr Gatte Zine el-Abidine Ben Ali hatte sich 1987 unblutig an die Staatsspitze geputscht. Er hat, wie auch Mubarak, einen militärischen Hintergrund und gute Verbindungen zur CIA. Tunesien stützte sich außenpolitisch wesentlich auf seine ehemalige Kolonialmacht Frankreich, die bereits diverses Sicherheitsmaterial bereit gestellt hatte, um es zur Unterstützung Ben Alis auszufliegen. Offensichtlich hat man es sich dann doch anders überlegt. Am Ende war Frankreich nicht einmal mehr bereit die Familie des gestürzten Diktators aufzunehmen. Zurzeit befindet er sich angeblich in Saudi-Arabien.

Bevölkerungspyramide Tunesiens (2005)
Die Ursachen für die Revolte in Tunesien, die sich nunmehr auf Ägypten, aber auch auf den Jemen ausgebreitet hat, sind vielschichtig: Fast 24% der Bevölkerung sind unter 14 Jahre alt. Die Arbeitslosigkeit bei den Jungen beträgt über 30%, in Ägypten sind es sogar 80%. Das Durchschnittsalter in Tunesien beträgt etwa 28 Jahre, in anderen Staaten der Region ist die Situation ähnlich. Die niedergeschlagene Revolution im Iran wurde ebenfalls von einer zum Teil gut gebildeten aber perspektivenlosen jungen Generation vorangetrieben. Die Korruption und Vetternwirtschaft wirken als weitere Katalysatoren. Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten über das Internet und die Berichterstattung von Al Jazeera tragen ihr Übriges bei, weshalb Ägypten mittlerweile sowohl das Internet, als auch den Empfang von ausländischen TV-Sendern eingestellt hat. Wie verzweifelt die jungen Menschen in diesen Staaten sind, zeigen auch die Selbstverbrennungen, die in Tunesien die Revolution zusätzlich angeheizt haben. Ein weiterer Auslöser waren die steigenden Lebensmittelpreise. Die internationalen Finanzmarktjongleure, die in den letzten Monaten die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe trieben, haben also - mit Sicherheit unabsichtlich - etwas Gutes mitverursacht.

Die Frage, die sich nun alle stellen, lautet: Wie weit wird sich der Atem der Revolution über die Region ausbreiten? Es steht zu vermuten, dass zumindest Ägypten noch fallen dürfte. Als relativ stabil kann man die Rentenstaaten in der Golfregion betrachten, die fähig sind ihrer Bevölkerung einen höheren Lebensstandard über Rohstoffeinnahmen zu finanzieren. Dazu zählt neben Saudi-Arabien (Democracy Index Platz 160), Kuwait (DI 114), Bahrain (DI 122), Katar (DI 137), den Vereinigten Arabischen Emiraten (DI 148) und Oman (DI 143) auch Libyen (DI 158). Fraglich scheint mir dies aber für jene Systeme, die zwar rohstoffreich, aber nicht fähig oder nicht Willens sind, diesen Reichtum nach unter weiterzuleiten. Eines der korruptesten Regime der Region, Algerien, hat eine Jugendarbeitslosigkeit von 20-30% und das trotz seines Öl- und vorallem Gasreichtums. Als stabil einzuordnen sind wohl auch die Monarchien Marokko (Press Freedom Index Platz 135, Corruption Percepcion Index Platz 85, Democracy Index Platz 116) und Jordanien (Press Freedom Index Platz 120, Corruption Percepcion Index Platz 50, Democracy Index Platz 120), die trotz relativer Rohstoffarmut und ähnlicher Probleme wie ihre Nachbarstaaten, eine verhältnismäßig offene Politik fahren und deren Herrscherhäuser - nicht zuletzt durch ihre direkte Abstammung vom Propheten Mohammed - in der Bevölkerung höhere Legitimität genießen, als Langzeitdiktatoren wie Mubarak und Ben Ali. 

Es wäre unseriös zu behaupten, dass irgendjemand zurzeit verlässlich sagen kann, wie sich die Situation im arabisch-nordafrikanischen Raum weiter entwickelt. Kandidaten für einen Umsturz gäbe es jedenfalls genug. Müsste ich sie, nach der Wahrscheinlichkeit eines Regimewechsels geordnet aufzählen, wären dies: Ägypten, Jemen (DI 146), Algerien (DI 125), Sudan (DI 151) und Syrien (DI 152). Ob sich die Völker in diesen Staaten auch wirklich die Freiheit erkämpfen können, hängt auch davon ab, ob der Westen seine Solidarität mit den dortigen Diktatoren bricht und ob diese bereit sind das Feld zu räumen oder ob sie sich notfalls mit Waffengewalt behaupten wollen. Wie nervös die derzeitigen Vorgänge andere Regime machen, wird etwa dadurch deutlich, dass China die Internetsuche nach „Ägypten“ mittlerweile unterbunden hat. Ein Kommentator meinte kürzlich, dieses Jahr könnte das 1989 des arabischen Raumes werden. Auch wenn das verfrühte Euphorie gewesen sein mag: Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Samstag, 22. Januar 2011

Der Sonnenkönig, oder: Der unermessliche Kreisky

Als Bruno Kreisky am 29. Juli 1990 starb, war der Autor dieses Artikels noch nicht einmal vier Jahre alt. Dennoch hat er sein Leben beeinflusst, wie das praktisch aller anderer Österreicher auch und mehr als jeder andere Politiker der Zweiten Republik vor und nach ihm. In einer jüngst ausgestrahlten ORF-Dokumentation über Kreisky meinte André Heller die Jungen könnten es sich gar nicht vorstellen, wie Österreich vor Kreisky gewesen sei. Lassen Sie es uns trotzdem versuchen.

Als Kreisky in den Nationalratswahlkampf 1970 zog, hatte er das SPÖ-Urgestein Bruno Pittermann abgelöst, der sich nur widerwillig von der Parteispitze zurückgezogen hatte. Kreisky hatte es nicht leicht: Er war ein Exponent der „Revolutionären Sozialisten“, also jener Gruppierung, die gemeinsam mit den alten Exponenten der Sozialdemokratie die „Sozialistische Partei Österreichs“ gegründet hatten. Der Kompromiss war dabei typisch österreichisch. Die Partei nannte sich sozialistisch, war aber vom Programm her sozialdemokratisch. (Dass sich die SPÖ erst 1991 in „Sozialdemokratische Partei Österreis“ umbenannte, nicht einmal ein Jahr nach Kreiskys Tod, mag seine Gründe gehabt haben.) Als ehemaliger „revolutionärer Sozialist“ war Kreisky also ein Vertreter der „Jungen“ in der Partei, jener Gruppierung von Linken, die sich unter dem Austrofaschismus illegal konstituiert hatte und dann entweder ins Exil gegangen war oder im Untergrund Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatte. Die alteingesessenen Genossen der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ der Ersten Republik hatten das NS-Regime eher abgewartet denn bekämpft. Kreisky selbst war 1938 in Gestapo-Haft gewesen - er hatte sein Jusstudium noch einen Tag nach dem Anschluss beenden können - und konnte schließlich nach Schweden fliehen. Kreisky floh aber nicht nur, weil er Sozialist war, sondern auch, weil er aus großbürgerlichem jüdischen Hause stammte.
Es heißt, als man den jungen Genossen dem alten Parteivorsitzenden Karl Seitz vorstellte, habe dieser gefragt:
„Bist du der Sohn vom reichen oder vom gscheiten Kreisky?“ 
Er war der Sohn des reichen Kreisky. Sein Vater war Industrieller, sein Onkel der ideologische Vorreiter der Genossenschaftsbewegung.
Dass Kreisky jüdischer Herkunft war, er selbst sah sich nicht als Jude im eigentlichen Sinn und wehrte sich stets gegen Vereinnahmungen, sollte ihm auch in der Zweiten Republik noch zu schaffen machen. Der ÖGB-Präsident Anton Benya etwa galt als Antisemit. Ich selbst hatte das Vergnügen eine seiner ehemaligen Sekretärinnen noch persönlich kennen zu lernen. Als die parteiinterne Entscheidung zugunsten Kreiskys und zuungunsten Pittermanns ausgefallen war, so erzählte sie, kehrte Benya in sein Büro zurück. Auf die Frage welcher Bruno es denn geworden sei, habe er leicht zerknirscht Kreisky genannt. Auf die Nachfrage, was daran denn auszusetzen sei, habe Benya entgegnet: „Naja, ein Jud issa halt.“ Antisemitismus war zu jener Zeit noch eine Ideologie, die vielen bis ins Mark verwachsen war.
Mit diesem Schema spielte auch die ÖVP, als sie in besagtem Wahlkampf von 1970 ein Plakat affichieren ließ, auf dem ihr - mit absoluter Mehrheit regierender - Bundeskanzler Josef Klaus als „echter Österreicher“ angepriesen wurde. Einer meiner Lehrer meinte einmal, man habe für Klaus' Portrait wohl einen Zeichner des „Stürmer“ angeworben. Ganz verfehlt scheint die Kritik jedenfalls nicht zu sein.
Kriesky gewann die Wahl trotzdem und das war aus einem weiteren Grund nicht eben leicht: Das Wahlrecht war zur damaligen Zeit zwar bereits nach dem Verhältnisprinzip ausgerichtet, bevorzugte aber die ÖVP, die bereits zweimal, trotz weniger Stimmen, mehr Sitze als die SPÖ erhalten hatte.  Ihre absolute Mandatsmehrheit der letzten Legislaturperiode hatten die Konservtativen benfalls ohne absolute Stimmenmehrheit erreicht. Kreisky sollte der einzige Spitzenkandidat der österreichischen geschichte sein, dem es gelang, tatsächlich auch die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf seine Partei zu vereinen. Doch noch war es nicht so weit, denn er hatte lediglich eine Relative Mehrheit erhalten und benötigte für die Duldung der von ihm angestrebten Minderheitsregierung die Stimmen der FPÖ. Diese erhielt er, indem er den Blauen eine Wahlrechtsreform versprach, die kleine Parteien - die FPÖ war damals die einzige solche - proportionaler bevorzugen sollte, als das alte Wahlrecht. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten, die ÖVP verweigerte ihre Zustimmung zu einer Zweidrittelmehrheit für eine umfassende Änderung, wurde diese Wahlrechtsreform auch durchgeführt. Es sollte Kreiskys erste große, aber nicht die letzte Reform sein. Ein Jahr später rief er vorgezogene Neuwahlen aus und erhielt dabei die erhoffte absolute Mehrheit.
Wir wollten uns ja eigentlich ein Österreich ohne Kreisky vorstellen, also probieren wir's mal. Bevor Kreisky seine Reformen anging:
- gab es in Österreich keine Schülerfreifahrt,
- Schulbücher mussten zur Gänze selbst bezahlt werden,
- homosexuelle Handlungen waren gerichtlich strafbar,
- ebenso die Ehestörung (Verhältnis mit einer verheirateten Person),
- Abtreibung war illegal,
- der Wehrdienst dauerte 12 Monate,
- Zivildienst gab es keinen,
- es gab weder eine Beteiligung der Studenten an der Universitätspolitik,
- noch einen Schulgemeinschaftsausschuss,
- die Wochenarbeitszeit betrug nicht 40, sondern 42 Stunden,
- es gab kein Karenzgeld,
- keine Bergbauernförderung,
- keinen Mutter-Kind-Pass,
- an Gymnasien wurden Aufnahemprüfungen durchgeführt (die insbesondere sozial selektiv waren),
- an Universitäten gab es Studiengebühren,
- die Frau war dem Mann als Haushaltsvorstand im Eherecht und im Bürgerlichen Recht untergeordnet,
- eheliche Kinder waren unehelichen gegenüber rechtlich bevorzugt,
- der Strafvollzug kannte unter anderem noch den sogenannten „schweren Kerker“,
Bruno Kreisky reformierte aber nicht nur das Strafrecht, das Arbeitsverfassungsrecht, die Sozialgesetzgebung und die Wissenschaftspolitik, er war auch auf dem Internationalen Parkett rege tätig. In den großen Koalitionen nach dem Zweiten Weltkrieg war er ab 1953 als Staatssekretär vertreten gewesen, ab 1959 als Außenminister. Er hatte an den Verhandlungen zum „Moskauer Memorandum“ teilgenommen, das schließlich in den Staatsvertrag mündete. Auch als Kanzler konnte er die Finger von der Außenpolitik nicht lassen. Er machte Jassir Arafat, der bis dahin - nicht zuunrecht - als Terrorist verschrien war, erst international salonfähig, brachte die UNO nach Wien und ließ die Stadt die Gastgeberrolle für den Ost-West-Dialog spielen. 1960 Trafen sich Kennedy und Chruschtschow in Wien um über die Abrüstung zu verhandeln. Kreisky brachte das Süd-Tirol-Problem vor die UNO, was schließlich im Autonomiestatut mündete. Außerdem versuchte er eine eigenständige österreichische Ostpolitik zu fahren, die eine rege Reise- und Vortragstätigkeit in den Ländern des Ostblocks mit sich brachte.
Trotz all seiner Leistungen wäre es aber unsachlich Kreisky nur durch die rosarote Brille zu sehen. Ich spreche hier nicht vom stumpfsinnigen Schlagwort des Schuldenkanzlers, das von mancher Seite verwendet wird um Kreisky anzubatzen. Es ist objektiv einfach falsch. Kreisky machte Schulden, ja. Und er sprach auch davon, dass ihm ein paar hunderttausend Arbeitslose mehr, mehr schlaflose Nächte bereiten würden, als ein paar Milliarden (Schilling wohlgemerkt) Schulden. Man mag auch sein Vertrauen auf die verstaatlichte Industrie im nachhinein als zu grenzenlos einschätzen, gern. Aber Kreisky war kein Schuldenkanzler. In den 13 Jahren seiner Zeit als Regierungschef wirtschaftete er von 1970 bis 1974 ausgeglichen oder mit Überschuss. Der „Kurier“ zitiert den Gouverneur der Österreichischen Nationalbank Ewald Nowotny wiefolgt:

„dass es nicht zuletzt dem persönlichen Engagement Kreiskys zuzuschreiben ist, dass in den 1970er Jahren eine eigenständige, theoretisch fundierte wirtschaftspolitische Position in Form des Austro-Keynesianismus propagiert wurde. Von den Erfolgen dieses Weges zehren wir noch heute. [...] Tatsächlich gelang es auch, das Netto-Defizit, das von 1970 bis 1976 von 1,9 auf 4,6 Prozent des BIP gestiegen war, bis 1981 wieder auf 2,6 Prozent zurückzuführen. Es ist also ein gutes ökonomisches Erbe, das Kreisky hinterlassen hat.“ Kurier
Als Kreisky aus dem Amt schied, lag die Staatsschuldenquote bei etwa 40% des BIP, heute liegt sie über 70%. Am Ende der Kreisky-Ära lag die Staatsschuld bei 30,2 Mrd. Euro, heute steht sie bei 198,8 Mrd. (Vgl. OeNB). Der durchschnittliche Schuldenzuwachs unter den Regierungen Kreisky betrug 1,23% pro Jahr, die richtig fetten Schulden machten seine Nachfolger, unter reger Beteiligung von FPÖ und ÖVP. Unter ihnen stieg die Verschuldung wesentlich stärker an (Gesamtverschuldungszuwachs: 3,32% pa SPÖ-FPÖ 1983-86, 1,36% pa SPÖ-ÖVP). Das Argument vom Schuldenkanzler zählt also nicht. Trotzdem war Kreisky kein Heiliger.
Den wohl schwärzesten Fleck auf seine Karriere warf die sogenannte Kreisky-Wiesenthal-Affäre. Der Nazijäger Simon Wiesenthal deckte - wohlgemerkt erst nach der Nationalratswahl 1975 - die Mitgliedschaft des FPÖ-Obmanns Friedrich Peter in einer SS-Einhgeit, die in Säuberungsaktionen - die sogenannte Partisanenbekämpfung - im rückwärtigen Heeresgebiet verstrickt war, auf. Kreisky verteidigte Peter, warf Wiesenthal „Mafiamethoden“ vor und bezichtigte ihn, er habe sein Leben gerettet indem er mit der Gestapo kolaboriert hätte. Kreisky wurde erst kurz vor seinem Tod in einem von Wiesenthal angestrengten Prozess deswegen zu 270.000 Schilling Strafe verurteilt. Er starb jedoch vor der Vollstreckung. Wiesenthal soll den Prozessausgang so kommentiert haben:
„Kreisky hat verloren, und anstatt die Geldstrafe zu bezahlen, ist er gestorben.“ FAZ
Warum Kreisky sich mit Wiesenthal so überkam, ist zunächst nicht einfach festzustellen. Naheliegend ist, dass er diesem einiges nachtrug. Er hatte vier Minister seiner ersten Regierung als ehemalige Nationalsozialisten enttarnt und soll auch im Wahlkampf 1970 - er kritisierte die verhohlen antisemitische Kampagne der ÖVP nicht - gegen Kreisky mobil gemacht haben. Kreisky als Bundeskanzler schade Israel und müsse daher verhindert werden (Vgl. profil). Als Wiesenthal sich also gegen Peter engagierte, dürfte das für den als Polterer bekannten Kreisky das Fass zum überlaufen gebracht haben. Das entschuldigt nicht seine unbewiesenen Anschuldigungen gegen Wiesenthal und auch nicht, dass er Exnazis in sein Kabinett berief, aber es erklärt einiges.
Seine größte politische Fehleinschätzung war wohl sein Engagement für das, noch unter der ÖVP-Alleinregierung geplante, Atomkraftwerk Zwentendorf. Angeblich soll Kreisky sogar den Parteiausschluss seines eigenen Sohnes forciert haben, weil sich dieser auf der Seite der Gegnerschaft engagierte. Das Kraftwerk wurde schließlich in der vom Bundeskanzler selbst angesetzten Volksabstimmung knapp verhindert. Kreisky blieb.

Was ihm wohl auch menschlich am meisten zusetzte, war die Auseinandersetzung mit seinem Vizekanzler und Finanzminister Hannes Androsch. Er hatte diesen als Vizekanzler Hertha Firnberg vorgezogen. Er soll seine Entscheidung sogar mit dem wenig charmanten Satz „Alt bin ich selber.“ kommentiert haben. Was das zwischenmenschliche Verhältnis letztendlich zum Zerbrechen brachte, ist bis heute nicht eindeutig zu klären. Wahrscheinlich ist, dass Kreisky nicht verstand, warum Androsch ihm nicht um jeden Preis nachfolgen wollte und mit der Privatwirtschaft kokettierte. Er, der selbst ein Vollblutpolitiker war, konnte es nicht verwinden, dass sein Ziehsohn und erwählter Nachfolger nicht ebenso fühlte. Kreisky hatte mit seinen Reformen das österreichische Gesellschaftssystem umgestülpt, er wollte dieses Projekt letztendlich nicht mehr in Androschs Hände legen.
Das Gesellschafssystem umzustülpen, das war der wirkliche, der größte Verdienst Kreiskys. Das ist es wohl auch, was Heller meinte, als er im ORF von der Unglaublichkeit der vorherigen Umstände sprach. All die Gesetze die Kreisky änderte, waren zuvor Ausdruck eines extrem eingeschränkten und in dieser Einschränkung geradezu totalitären gesellschaftlichen Konsenses, der weder Bildung für untere Schichten, noch Frauenemanzipation und schon gar keine Schwulen oder die Abtreibung duldete. Kreisky hat ihn  für uns aufgebrochen.

Dieter Zehentmayr der 2005 leider viel zu früh verstorbene Karikaturist, tuschte bei Kreiskys Rücktritt 1983 - als er die absolute Mehrheit, die er dreimal zuvor erhalten hatte verlor - eine Zeichnung, die zu meinen Lieblingskarikaturen zählt. Zehentmayr hatte Kreisky in den Jahren zuvor nicht geschont, aber Kreisky, der vor dem Bundesadler steht und sich, wie dieser vor ihm, verneigt, drückt doch den Respekt aus, den man diesem großen Österreicher auch heute noch zollt.
Dr. Bruno Kreisky wäre am 22. Jänner dieses Jahres 100 Jahre alt geworden.

„Ein Bundeskanzler dieser Republik geht nicht durch die Hintertür.“ Bruno Kreisky

Samstag, 15. Januar 2011

Das Bundesheer, oder: Der bewaffnete Reformstau.

Die Republik war gerade erst ein paar Stunden alt, da vereitelte die deutschösterreichische Volkswehr am 12. November 1918 einen Putschversuch der Kommunisten, so wie sie es am Gründonnerstag des darauffolgenden Jahres machen sollte. Aus der Volkswehr - an deren Aufstellung maßgeblich Theodor Körner, der spätere Bundespräsident, beteiligt war, ging schließlich das Bundesheer hervor. Mit dem Ausscheiden der Sozialdemokraten aus der Regierung wurde das Heer umgefärbt und schließlich im Feber 1934, nach der Ausschaltung der Demokratie durch die Regierung Dollfuß, gegen die demonstrierende Arbeiterschaft eingesetzt. Das Heer schoss mit Artellerie auf Gemeindebauten und hinterließ damit in der roten Reichshälfte tiefsitzende Wunden. Die Sozialdemokratie traute dem Militär auch nach der Wiederherstellung der demokratischen Republik Österreich jahrzehntelang nicht mehr, hatte es doch auf die eigenen Bürger geschossen, aber dem Einmarsch deutscher Truppen nichts entgegengesetzt. Dem Anschluss stand die österreichische Armee auf Anweisung der Politik wirklich völlig tatenlos gegenüber. Deutschlandkritische Offiziere - wie Generalstabschef Jansa - hatte man zuvor auf Druck der Nazis entfernt. Österreuch fiel binnen Stunden, sehr tief fiel es. Und obwol sein Untergang ohne einen einzigen Schuss besiegelt wurde, war er doch die größte Nierderlage, die ein österreichisches Heer je zu verantworten hatte.

Nach 1945 durfte die Republik unter alliierter Besatzung zunächst kein  eigenes Heer aufstellen. Als  Ausweg wählte man die Gründung der sogenannten B-Gendarmarie. Keiner weiß heute mehr so genau, wofür das „B“ eigentlich stand, im Allgemeinen wird es im Sinne von „Bereitschafts“-Gendermarie gedeutet. Erst nach dem Staatsvertrag wurde die B-Gendarmerie in das Bundesheer der Zweiten Republik überführt. Österreich hatte sich verpflichtet keine Offiziere aufzunehmen, die in der Wehrmacht über dem Rang eines Obersten firmiert hatte. Alle Wehrmachtssoldaten die ins Heer inkorporiert wurden, wurden um einen Rang nach unten versetzt aufgenommen. Das Bundesheer war schon zu seinem Neubeginn vielen Problemen ausgesetzt: Das Material bestand großteils aus Spenden der Amerikaner und der Sowjets, sein Personal aus nationalsozialistischen Altlasten und Weggefährten des Austrofaschismus. Eine vehemente Forderung der Sozialdemokratie war daher die allgemeine Wehrpflicht. Sie verfolgte damit eine Demokratisierung des Heeres, die in Deutschland unter dem Schlagwort „Bürger in Uniform“ bekannt ist. Aus der Ablehnung des Obrigkeitsstaates endstand die Idee, dass ein Volk, das sich selbst verteidigt, nicht vom stehenden (=Berufs-) Heer eines ebensolchen bedroht werden könne. Die Wehrpflicht war also am Beginn eine rote Idee. Die Konservativen hätten später viel lieber eine professionelle Kampftruppe unter dem Kommando des - heute noch immer - mehrheitlich schwarzen Offizierscorps gehabt. Etliche Exponenten des Generalstabes sind nach wie vor Nachkommen altgedienter Adelsgeschlechter, die Jahrgänge der Theresianischen Militärakademie tragen Bezeichnungen wie „Erzherzog Albrecht“, obwohl Adel und Monarchie seit über 9o Jahren abgeschafft sind. Das Heer sieht sich  in erster Linie als Traditionsverein. Das merkt man nicht nur, wenn hunderte Rekruten am Nationalfeiertag geloben ihr „Vaterland, die Republik Österreich und sein Volk zu schützen und mit der Waffe zu verteidigen“, sondern auch, wenn man die Einstellung der Generalität mitbekommt. Da brechen gestandene Offiziere in Tränen aus, wenn ihr Panzergrenadierbataillon aufgelöst wird. Dementsprechend scharf werden Einsparungen und Veränderungen beim Heer von der höheren Belegschaft kritisiert, meist ohne Erfolg. Der Generaltruppeninspektor wollte die Verkürzung der Wehrpflicht unter Kreisky von 12 auf 9 Monate nicht, gekommen ist sie trotzdem. Kreisky ließ die Mobilmachung anordnen, den Befehl aber verzögert aushändigen, die lange Anlaufdauer für die Kriegsprobe lastete er dem Heer an und meinte sinngemäß, wenn die Mobilmachung schon jetzt nicht funktioniere, könne man den Wehrdienst getrost verkürzen ohne einen weiteren Qualitätsverlust fürchten zu müssen.

Das Heer tat trotzdem seine Arbeit, verminte beim Ungarnaufstand und beim Prager Frühling die Donaubrücken, um eine entsprechende sowjetische Invasion zu bremsen. Jüngst bekanntgewordene Geheimdienstberichte bestätigen die tendenzielle Absicht der Russen, Österreich gleich mitzukassieren. Als Vorwand hätte man Kampfhandlungen mit den tschechoslowakischen Streitkräften genommen, doch diese verhielten sich ruhig und retteten Österreich somit das Leben. Man igelte sich ein, Symbol wurden die Maskottchen des Heeres, die man auf Pickerln und anderen Propagandadevotionalien fand: Den Absperrigel, den Artellerigel etc. Um den für den Konfliktfall mit der NATO geplanten Durchmarsch der Ungarn durch die Steiermark und Kärnten nach Italien zu stoppen, wurden die Pässe vermint und mit getarnten Geschützstellungen auffrisiert. Als bekannt wurde, dass die Sowjets über Thermosateliten verfügten, begann das Bundesheer Almhütten zu heizen, um diese irrezuführen. Der kalte Krieg war schon wahnsinnig genug, ohne je heiß geworden zu sein. Im Jugoslawienkrieg verlegte man Einheiten an die Grenze, auch um dem angedrohten Truppenabzug der Jugoslawischen Volksarmee über österreichisches Gebiet entgegenzutreten. Einer parlamentarischen Anfrage der Grünen, ob es nötig sei die Panzer mit den Rohren auf Jugoslawien zielend an die Grenze zu stellen, beantwortete der Verteidigungsminister mit der lapidaren Gegenfrage, ob man die Panzerrohre denn auf Österreich richten solle. Der Eiserne Vorhang war gefallen und auch Jugoslawien wanderte in die Geschichtsbücher, Österreich blieb was es war: klein. Auch das Verteidigungsbudget ist eines der schmälsten in Europa. Gemessen am BIP gibt das Land 0,8% für seine Streitkräfte aus. Laut CIA-Factbook liegt es damit auf Platz 150 von 174. Das einzige EU-Mitglied, das weniger in Verteidigung investiert ist Malta mit 0,7% vom BIP.

Dabei haben die geringen Ausgaben zumindest zum Teil durchaus ihre Berechtigung: Die Raumverteidigungsära ist vorbei. Es wird keinen Panzerkrieg im Marchfeld geben, keine Luftschlacht in den Alpen, keine Notlandungen von Draken auf der extra dafür gerade gebauten Murtalschnellstraße und keinen Stellungskrieg am Wurzenpass. Gottseidank. Aber wir haben immer noch ein Bundesheer und eine allgemeine Wehpflicht. Aber das sind bei weitem noch nicht die einzigen Anachronismen: Die Landstreitkräfte verfügen noch über ganze vier Brigaden - die nach den Plänen der Bundesheerreformkommission auf zwei reduziert werden sollen -, aber es gibt nach wie vor neun Militärkommanden, für jedes Bundesland eines. Die Verfassung schreibt das Milizsystem vor, aber die Miliz braucht kein Mensch in ihrer derzeitigen Form. Also wird sie totgespart, es finden keine Übungen mehr statt. Die Heeresgeheimdienste machen angeblich ein Viertel des gesamten Personals aus. Auslandsspionage ist in Österreich alleinige Angelegenheit des Heeresnachrichtenamtes. Für die Spionagebekämpfung im Inland ist das Abwehramt zuständig. Nach guter österreichischer Tradition ist das HNaA schwarz, das AA rot.

Gleichzeitig nimmt das Heer aber immer noch umfassende internationale Verpflichtungen war. Es war im Kongo, in Afghanistan, im Libanon, im Tschad oder in Zypern. Momentan stehen noch Kontingente in Bosnien, im Kosovo und am Golan. Insgesamt hat das Heer momentan über 36.000 Mann unter Waffen, die Miliz macht - auf dem Papier - nochmals 30.000 aus. Mit Reservestand kommt das Bundesheer auf eine Mobilmachungsstärke von einer Million. Theoretisch. Es steht zu bezweifeln, ob überhaupt genug Waffen zur Verfügung stünden. Die tatsächliche Mobilmachungsstärke beläuft sich wohl auf nur 50.000 Mann. Und selbst wenn es mehr wären: Wer braucht noch einen Reservestand von Hunderttausenden? Österreich wird sich selbst nach den pessimistischsten Prognosen auf absehbare Zeit nicht mobilmachen müssen. Der Oberbefehlshaber Heinz Fischer kann ruhig schlafen, der Bundesminister Norbert Darabos - ein Zivildiener - muss sich nur finanzielle Sorgen machen. Das Heer ist stellenweise verrostet und wird nur von Donauüberschwemmungen bedroht. Es ist - um es ehrlich zu sagen - in weiten Teilen zu einem Depot für Zivilversager und Militaristen verkommen. Leute, die man in keiner Zivilgesellschaft brauchen  kann, finden im Bundesheer geneigte Aufnahme: Alkoholische Unteroffiziere, einfachgestrickte Charchen, patriotische Milizionäre, waffengeile Nationalisten. Das trifft natürlich nicht auf alle zu, aber doch auf einen Teil, der zu groß ist, um ignoriert zu werden. Man hört von den Streitkräften nur, wenn sie ein Hochwasser eindämmen, Schnee von Dächern schaufeln, in einen Auslandseinsatz ziehen oder wieder einmal Soldaten nach dem Verbotsgesetz angeklagt werden, weil sie mit Hitlergruß durch die Kaserne marschiert sind.

Es ist Zeit das Heer auf seine Aufgaben gesundzuschrumpfen: Katastropheneinsatz, Friedensmissionen, Schutz der verfassungsmäßigen Organe des Bundes und der Länder, Abwehr von Internetangriffen gegen Regierungsrechner und nachrichtendienstliche Auslandsaufklärung. Die militärische Landesverteidigung wird formal immer dabei sein, aber in Wahrheit ist sie mittlerweile genauso bedeutungslos wie ihre Geschwister, die wirtschaftliche, die zivile und vor allem die geistige Landesverteidigung (iSd Art. 9a Bundes-Verfassungsgesetz). Es ist bis zu einem gewissen Grad verständlich, dass aus Gründen der Tradition Verbände wie die Gardekompanie oder die Militärkommanden aufrechterhalten werden, aber brauchen wir wirklich noch einen der größten europäischen Truppenübungsplätze in Allensteig? Muss es ernsthaft an Schulen einen Referenten für geistige Landesverteidigung geben? Und braucht eine Armee eines Acht-Millionen-Einwohner-Landes mit knapp über 30.000 Soldaten wirklich 186 Offiziere im Generalsrang (Brigadiere, Generalmajore, Generalleutnante und Generäle)? Die deutsche Bundeswehr hat nicht einmal zwanzig mehr! Das Bundesheer ist reformüberreif. Die Wehrpflicht ist ein heutzutage nicht mehr zu rechtfertigender geschlechterdiskriminierender Grundrechtseingriff und daher abzuschaffen. Österreich braucht ein kleines aber einsatzfähiges Berufsheer, das zu Auslandseinsätzen befähigt ist und eine Miliz für Katastrophenfälle im Inneren. Das Problem ist nur: Dafür müsste die Politik Geld in die Hände nehmen und das wird sie nicht tun. Es gibt in der österreichischen Bevölkerung praktisch keinen unpopuläreren Budgetposten, als den Verteidigungsetat. Österreich gibt heuer etwa 2,18 Milliarden Euro für Landesverteidigung aus, in der Schweiz sind es über drei Milliarden Euro.
Das Heer wird wohl auch in Zukunft vor sich hin rosten und nur am Nationalfeiertag alle zehn Jahre mit den paar übriggebliebenen Panzern den Asphalt der Ringstraße demolieren. Sollte das einzige Nachbarland, dem wir militärisch gewachsen sind - nämlich Liechtenstein - einmal aufmucken, wird das aber kein Problem sein. Wir brauchen dafür keinen einzigen Rekruten zu mobilisieren, wir haben ja genügend Generäle, um Vaduz in Schutt und Asche zu legen.

„Durch den Feldstecher sah Franz Joseph die Bewegungen jedes einzelnen Zuges, ein paar Minuten lang fühlte er Stolz auf seine Armee und ein paar Minuten auch Bedauern über ihren Verlust. [...] Da kann man nix machen! fügte er im stillen hinzu. Denn er war ein Österreicher.“ - Joseph Roth -  „Radetzkymarsch“

Dienstag, 11. Januar 2011

Das Land der ehrenwerten Männer, oder: Wo schlechter Rat teuer ist.

Nie würde ich es wagen zu behaupten, dass Karl-Heinz Grasser sich der Steuerhinterziehung, des Amtsmissbrauchs oder der Korruption verdächtig gemacht hat. Selbst als er den Eurofighterkauf zunächst ablehnte und dann doch dafür war, als die Industriellenvereinigung eine viertel Million Euro für seine Homepage - einfach unter  „völlige Inkompetenz“ googlen - bezahlte, als seine Freunde Meischberger und Hochegger, während seiner Zeit als Finanzminister, 200.000€ Provision von der Firma Porr dafür bekamen, dass sie die oberösterreichische Finanzlandesdirektion zur Einmietung in ein Porr-Gebäude überredeten, als er dafür sorgte, dass sein Wahlonkel in den Aufsichtsrat zweier Bundesgesellschaften einzog, als er sich mit Tilo Berlins supersauberen Investitionsgenossenschaft am Hypo-Verkauf bereicherte, als er sich von der „Constantia Privatbank“ eine Nächtigung in St. Moritz zahlen ließ und bei Julius Meinls extremseriösem Fond „Meinl European Land“ einstieg, genoss er mein vollstes Vertrauen als Mensch und (Ex-) Finanzminister. Ja sogar die Hochzeit mit Swarovski-Erbin Fiona Pacifico „Atlantico“ Griffini-Grasser schmälerte sein Ansehen nicht im geringsten. Warum auch? Grasser hatte sicher gute Gründe sich für den Kauf der Eurofighter auszusprechen, denn Grasser ist ein ehrenwerter Mann. Dass sein Freund Gernot Rumpold angeblich 96.000€ dafür erhielt eine Pressekonferenz zum Thema Eurofighter abgehalten zu haben, hat sicher nichts damit zu tun. Die drei Millonen Euro, die Grasser steuerschonend und - so betont er - mit Wissen der Behörden in Liechtenstein geparkt hat, hat er bei Meinls Erfolgsfond- wie sein Anwalt sagt - „sauer verdient“. Das mag man gern glauben, auch wenn der Fond hunderte Millionen Euro abschreiben musste und  das Geld tausender Anleger verheizt hatte. Und sicher haben Meischberger und Hochegger ihre Provision redlich verdient, auch wenn Meischberger später nicht mehr genau wusste was seine eigentliche Leistung war. Und auch ,dass selbiger die Porr bei ihrem Engagement beim Bau der Nordautobahn fachkundig mit seinem Wissen beraten hat, steht sicherlich außer Zweifel.
„...sie werden mich halt Porr quälen eh wegen einer anderen Geschichte, das mit der Autobahn und mit dem Zeug, da kann ich eh nichts sagen, möchte aber zumindest über diese Geschichten lange plaudern, damit sie sehen, dass es da eine erfolgreiche Geschäftsbasis gegeben hat.“ - Walter Meischberger in einem abgehörten Telefonat
Warum sollte man auch Böses denken? Was denn überhaupt? Dass der Begriff „Beraterhonorar“ in heutiger Zeit synonym für Schmiergeld steht? Dass Meischberger, ein gelernter Heizungs-, Sanitär- und Klimatechniker, und Hochegger keinen Tau davon haben, wie man ein Gebäude vermietet oder den Bau einer Autobahn vermittelt und bloß fleißig Kohle mitgeschnitten haben, weil einer ihrer Spezis zufällig Finanzminister war? Niemals! Grassers, Hocheggers und Meischbergers Freundschaft in ein derartig dubioses Licht zu rücken ist zu tiefst verwerflich. Schon Shakespeare schrieb richtigerweise: „wem's an Geld, Gut und Genügen gebricht, daß dem drei gute Freunde fehlen“ (aus „Wie es euch gefällt“). Und dass diese drei sich Freunde waren, sei bezeugt! Gut und Genügen mögen sie sich auch gegeben haben, aber Geld? Wenn dann nur aus privater Kasse, denn Grasser sagt, dass alles sauber war. Und Grasser ist ein ehrenwerter Mann. Das sind sie alle, alle ehrenwert!
„Ich hab' feste Grundsätz', fest bleib ich dabei. Nur wenn ich ein Geld seh', da änder' ich's glei.“ - Johann Nepomuk Nestroy - „Robert der Teufel“
Warum sollte auch in den Regierungen Schüssel etwas derartig schief gelaufen sein? Meinte doch der Altkanzler unlängst selbst: „Ich habe allen in unserer Regierung immer gesagt: ‚Wenn ich einen erwische, der hier Linke macht, dann spielt’s Granada.‘“ Doch gottseidank hat nie jemand daran gedacht eine Linke zu machen, waren sie doch alle rechts und konservativ. Die Privatiesierung der Staatsdruckerei, der Austria Tabak, der BUWOG, des Dorotheums, der Telekom Austria, der Post und der Voest, alle sind bekanntlich sauberst über die Bühne gegangen. Niemals hätte jemand den Eindruck gewinnen können, dass persönliche Günstlinge eines Politikers dessen Einfluss zur Basis ihres korrupten Geschäftsmodelles gemacht hätten. Vor allem aber würde noch heute jeder ehrenwerte Österreicher, allen voran die Redakteure der Kronenzeitung, stock und steif behaupten, dass Karl-Heinz Grasser zu seiner Zeit der beste Finanzminister Europas war. Und darauf darf man etwas halten, in diesem ehrenwerten Land voller ehrenwerter Männer.
„Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann.“- William Shakespeare - „Julius Caesar“