Dienstag, 29. November 2011

Der Christkindlmarktwahnsinn, oder: Wurzelseelenkauf für Fortgeschrittene

Voll, klebrig, kalt, laut und teuer. Was nach einer Episode aus Dantes Inferno klingt, ist in Wahrheit ein alljährlicher Kommerzerfolg der österreichischen Bundeshauptstadt: der Christkindlmarkt. Jährlich strömen Tausendschaften von Touristen nach Wien, um mit großen glänzenden Augen die mit Elektroglitzer festlich bekitschte Stadt zu bewundern, allerlei überteuerten Ramsch zu erstehen und sich die Birne mit erhitzten Alkoholika wegzulöten.

Christkindlmärkte haben ja mit dem Christentum in etwa so viel zu tun, wie Cordon Bleu mit koscherem Essen. Als Jesus vor 2000 Jahren durch Palästina marschierte, hatte er sicherlich anderes im Sinn, als die Verehrung seines gemutmaßten Geburtstages mittels Schneekugeln, Lametta und Ingwer-Mandarinen-Punsch - der trotzdem sehr empfehlenswert ist. Aber sei's drum, Tote können sich ja nicht wehren, auch Auferstandene nicht. Und weil die JC-Masseverwaltung Katholische Kirche und andere die davon profitieren es für eine gute Idee halten, wird jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit das Wort „besinnlich“ neu definiert.

Massen von Italienern, Slowaken, Tschechen, Ungarn und sogar Deutschen schieben sich dann über die Kitschzentrale am Rathausplatz, um Gallertkerzen in Bierglasform, bunt behaarte Schispringerhauben oder esoterische Räucherstäbchen zu kaufen. Vorbei an Wienern, die sich am überteuerten Glühwein mit Billigzutaten berauschen, vorbei am Christbaum aus dem Burgenland mit entsprechender Widmung des Landeshauptmannes und vorbei an plärrenden Kindern, die unbedingt bunte Zuckerwatte aus einem Kübel fressen möchten. An einem Stand werden Handpuppen in Stofftierform angeboten. Die Verkäuferinnen tragen Einmalhandschuhe aus Latex während sie ihre Hände in immer neue Plüschtierafter schieben. Der Brezelstand ist heuer wieder um 20 Cent teurer geworden, was aber außer mir keinem auffällt. Zwischen den Normalgroßen stolzieren einige zwergwüchsige Apenninenbewohner in überetikettierter Markenkleidung für Teilnehmer von Arktisexpiditionen umher. Ein paar Deutsche begeistern sich für Kerzen, in die Muscheln, Seesterne und Trockenblumen versenkt wurden.

Kurz: Es ist eine Freude den Christkindlmarkt am Rathausplatz zu besuchen, aber auch die gefühlten tausend anderen adventzeitlichen Barackensiedlungen haben ihren Reiz. Der mittlerweile überlaufene Exgeheimtipp am Spittelberg etwa ist traditionell der Ort wo Linksalternative nicht Weihnachten feiern, aber den Hype darum kommerziell ausnutzen. Dementsprechend bekommt man dort weniger Christliches zu kaufen, sondern eher ein Mixtum aus südamerikanischer, afrikanischer und australischer Eingeborenenkultur nebst allerlei Naturplunder. Beliebte „product samples“ alternativer Weihnachtsmärkte sind Duftkerzen von „Weihnachtstraum“ bis „Kamasutra“, Sand-hinter-Glas-Kipprahmenbilder und die allgegenwärtige Rose von Jericho.

Vergessen werden darf natürlich auch nicht der Markt zwischen den Museen, wo man von einem gelangweilten Postler hinter einer stets verschlossenen Glasscheibe Ersttagsbriefe kaufen kann, während modisch und chirurgisch aufgebrezelte Ivankas aus Pressburg im imperialen Ambiente ihre Kunstpelzmäntel spazieren tragen. Über alldem thront, mächtig an Körper und Haltung, Maria Theresia und schaut mit ihren Feldherren und Staatsmännern auf das punschtrinkende Standlvolk.
In Richtung Kunsthistorischem Museum erhält man  - gleich vis a vis von einem Stand mit recht weihnachtsfremder afrikanischer Stammeskunst - die Möglichkeit, bunte Wachssterne für einen guten Zweck zu kaufen, um sie mittels Flaschenzug in einen Plexiglaszylinder zu verfrachten. Man hält es kaum für möglich, dass manche Menschen sogar mit der Bedienung der dafür benötigten Kurbel überfordert sind. Die hämische Beobachtung einiger Damen, die sich ob des nicht funktionierenden Geräts schließlich sogar bei der Standlerin beschweren wollten, endete dann aber doch in einer mitleidsbedingten Systemerklärung durch den guten Wolfi und meine Wenigkeit. Man sollte sich wirklich Gedanken machen, wenn man sich von mir Technik erklären lassen muss...

Man kann mir jetzt natürlich auch vorwerfen, dass ich offenbar selbst ein regelmäßiger Besucher dieser vorweihnachtlichen Freiluftshoppingeinrichtungen bin, aber ich versichere Ihnen hiemit, dass dies aus rein sozialwissenschaftlichem Interesse heraus und aufgrund von nicht nachlassendem Gruppendruck geschieht. Aber ich gebe auch bereitwillig zu, dass ich ein großer Fan der Honiggummibärchen bin, die man in Schönbrunn und am Maria-Theresien-Platz bekommt. Gerade als Weihnachtsmensch bin ich jedoch auf das ganze Kitschbrimborium mit roten Zipfelmützen deren Bommel elektrisch beleuchtet sind, ebenso wenig aus, wie auf „Hasibutzimausischatzi“-Lebkuchenherzen und Schneekugeln mit Plastiksteffl.

In einem anderen Seitenarm des Museumsmarktes findet alljährlich eine Dependance eines fernöstlichen Wurzelschnitzers, dessen Wiener Verkaufsleiterin mich beim Betrachten ihrer künstlerisch eher mediokren Waren vor einigen Jahren einmal fragte, ob ich wüsste, was diese seien. Noch bevor ich prosaischer Mensch noch „Holz“ sagen konnte, sprudelte die Antwort aber schon ebenso ungebeten aus ihr heraus, wie zuvor die Frage: „Das sind Seelen!“ sagte sie mit einem leicht wirren Blick und einer ins Transzendente abschweifenden Stimme.
Schön zu wissen, dass man auf Wiener Christkindlmärkten wirklich alles bekommt.

Dienstag, 22. November 2011

Freunderlschaft, oder: Die Krise der Sozialdemokratie.

Die österreichische Sozialdemokratie liegt 122 Jahre nach ihrer Gründung am Boden. Das ist keine Miesmacherei, das ist die Wahrheit. Sukzessive hat man Inhalte durch „Messages“ ersetzt, Menschen durch Personen. Was dabei herausgekommen ist sieht man: Ein Kanzler und seine politische Entourage, die als einzige Macht im Staate nur die Medien kennen und deren Ziel allein der Machterhalt ist.

Nun, das könnte man auch anderen Parteien und Politikern vorwerfen, sicherlich. Und wenn andere Mächte der SPÖ Verfehlungen vorwerfen, ist das natürlich auch von Kalkül begleitet. In der Politik ist der Revanchismus sowieso eine verbreitete Taktik. Dieser Politiker hat dies gesagt, der hat das hinterzogen. Es ist oft wie mit Kindern, die der Lehrer in der Pause bei einem Streich erwischt hat und die sich jetzt gegenseitig denunzieren, nur um selbst weniger schlecht dazustehen. Karlheinz hat Geld aus der Klassenkasse genommen, Udo hat in der Abwasch ein Papierschiff versenkt und Leopold hat zugesehen. Martin hat böse Buben zu Gangordnern gemacht. Josef isst unter der Stunde, Alexander raucht heimlich hinterm Papiercontainer und Werner war in Info die ganze Zeit auf Facebook.

Wenn die Menschen in unserem Land in die Zeitungen sehen, lesen sie nur das, bzw. was die jeweilige Zeitung mit Rücksichtnahme auf ihre Günstlinge und die Eigentümerstruktur davon veröffentlichen möchte. Im Prinzip besteht ja die ganze österreichische Politik nur noch aus Tingeltangel: Die FPÖ drillt sich im Phrasendreschen. Alle sagen immer und überall dasselbe, damit es beim Wähler möglichst geballt ankommt. Die Grünen versuchen es mit seriösem Populismus, einer mehr als abstrusen Technik. Das BZÖ besetzt alle übrigen Lücken: Zuwanderungskritische liberale Bürger- und Autofahrerpartei, pro NATO-Beitritt, pro Raucher. Die ÖVP streitet wie seit Jahrzehnten mit sich selbst. Der ÖAAB achtet darauf, dass die Beamten ja um keinen Cent eine Minute mehr arbeiten müssen, der Wirtschaftsbund schaut auf niedrige Körperschaftssteuern, der Bauernbund darauf, dass am reduzierten Dieselpreis für Traktoren nicht gerüttelt wird und dass die Agrarökonomen ja nicht mehr als ein Butterbrot in die Sozialversicherung einzahlen müssen. Und was macht die SPÖ? Sie eckt nicht an. Das hat sie mittlerweile perfektioniert. Welche Inseratenkampagne kann uns welche Berichterstattung sichern? Welche möglichst vage Aussage zum Fremdenrecht hindert den linken Parteirand daran sich abzuspalten? Wie viele Facebook-Accounts braucht man um beliebt zu sein? Wie können wir Politik machen ohne allzu politisch zu sein?

Unterm Strich steckt zwar die gesamte Politik in einer nicht auflösbaren Vertrauenskrise, der Sittenverfall ist aber bei den Roten am größten. Von der FPÖ hätte man sich nichts anderes erwartet, bei der Sozialdemokratie tut es einem aber weh. Im Bauch, im Hirn, einfach überall. Aus Angst vor der öffentlichen Meinung versucht man eine öffentliche Meinung zu fabrizieren, die möglichst viel mit Öffentlichkeit und möglichst wenig mit Meinung zu tun hat. Die SPÖ hat sich von allem entfernt, mit dem sie einmal verbunden wurde: Der Arbeiterschaft (die ist zur FPÖ gewandert), den Intellektuellen (wählen alle grün) und dem linksliberalen Mittelstand (geht gar nicht mehr zur Urne). Wer von den sozialdemokratischen Bundesgrößen hat sie schon einmal abseits des Vorwahlrummels besucht, die Städte, wo das Gras aus den Bahnsteigen sprießt, die Orte, deren Kerne verweist sind und verfaulen? In diesen bevölkerungspolitischen Todeszonen Niederösterreichs, der Steiermark und des Burgenlandes verirrt sich keiner von ihnen hin, wenn es keinen Fototermin mit der Kronenzeitung zur Einweihung eines Tierheimes, wenn's sein muss, auch eines Kindergartens gibt. Länder, Städte, Menschen zählen nur noch als Wahlkreise und Stimmen. Was richtig und falsch ist, interessiert heute noch weniger als früher.
„Wir werden diese Accounts umgehend blockieren.“ - Team Faymann
Ein paar Millionen mehr Schulden bereitetem ihm weniger schlaflose Nächte als ein paar tausend Arbeitslose mehr, hat Kreisky gesagt. Kontrovers, diskutabel, aber er hat es gesagt. Heute hört man nur noch Sätze wie: „Wir müssen mit dem Blick auf das allgemeine Wohl aller Generationen darauf achten, sowohl innen- als auch außenpolitisch und vor allem mit Bedachtnahme auf die europäische Integration möglichst ausgewogene Entscheidungen zu treffen, die weder die urbane Mittelschicht, noch die ländliche Haupterwerbsbauernschaft einkommenssteuertechnisch benachteiligt oder den Eindruck erweckt die Bundesregierung würde eine Gesellschaftsschicht bevorzugen oder benachteiligen.“ Der Slogan „Tee kocht man am besten mit Wasser!“ wäre wohl aufreibender. Diese Kritik gilt nicht nur für die Roten, sie gilt für alle und man könnte sie an diversen hohlen Beispielen („Wer, wenn nicht er?“ „Sein Handschlag zählt.“, „VdB“) beliebig weiterführen.

Aber es ist ja nicht nur die Phrasendrescherei, es ist die Inhaltsleere und die damit einhergehende Erfolgslosigkeit der Roten, mitunter auch mitverursacht durch die ständige  Blockadehaltung der ÖVP. Aber auch abseits davon fehlen der SPÖ die großen Visionen von einst. Wer bezahlt in 30 Jahren die Pensionen? Wie kann man das Schulsystem optimieren? Wer finanziert die Unis, wenn sie keine Studiengebühren einheben dürfen? Wie kann man sich heute noch eine Familie leisten? Fragen, auf die es keine verlässlichen sozialdemokratischen Antworten mehr gibt. Kritik daran, die aus Oberösterreich oder der Steiermark kommt, nennt man in Wien indes provinziell oder Kernölsozialismus und fährt lieber weiter den Kurs ins intellektuelle nirgendwo.
„Tiere würden Faymann wählen!“ - Neue Kronenzeitung im letzten Wahlkampf
Dabei waren die Anfänge so vielversprechend: Es war 1889 im niederösterreichischen Hainfeld, als sich die Sozialdemokratie der österreichischen Reichshälfte der K&K-Monarchie zu einer Partei vereinigte. Ihr Vorsitzender war Viktor Adler. Seine Fraktion - die Sozialdemokratische Arbeiterpartei - war, damals für eine linke Gruppierung eigenartig, eher staatstragend orientiert als umstürzlerisch. Man nannte sie sogar die K&K-Sozialdemokratie, weil sie eher antirevolutionär gesinnt war. Noch nach der Ausrufung der Republik soll Karl Renner mit Bezug auf den 1916 verstorbenen Kaiser Franz Joseph gemeint haben: „Wenn der alte Kaiser noch gelebt hätt', hätten wir uns das nicht getraut.“

Man organisierte mit nahestehenden Vereinen Streiks und versuchte die Lebensbedingungen der Arbeiter zu heben, die zu jener Zeit so schrecklich waren, dass man es sich heute als zivilisierter Mensch kaum noch vorstellen kann. Die Menschen wohnten in Baracken, arbeiteten 12 Stunden am Tag und die Tuberkulose war ihr ständiger Begleiter. Wurden sie aufmüpfig, sperrten die Arbeitgeber sie aus dem Betrieb aus, denn die Arbeiter waren meist Taglöhner. Wurde nicht gearbeitet, gab es kein Geld und die Frage, wer sich so eine Betriebsaussperrung länger leisten konnte, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, war schnell beantwortet. Die Analphabetenrate war immens hoch, es gab keine funktionierende Gesundheitsversorgung, keine Pensionsversicherung und Gewerkschaften waren verboten. Viele Arbeiter hatten eine große Familie, die sie kaum ernähren konnten und der Alkoholismus war sehr verbreitet. Deshalb waren die ersten Wegbegleiter der Arbeiterpartei die Nichttrinker und die Einkindbewegung; der Esperantismus spielte im Bereich der Arbeiterbildungsvereine ebenfalls eine große Rolle.

Trotzdem war auch die SDAP kein Heiligenverein. Der revolutionäre Parteiflügel blieb lange immanent. Friedrich Adler, der Sohn Viktors, erschoss während des Ersten Weltkrieges den kaiserlich-königlichen Ministerpräsidenten Graf Strürgkh, der neben Franz Joseph die österreichische Kriegserklärung  an Serbien unterschrieben hatte. Die Urgroßnichte des Getöteten managet heute den Opernball.

Lange Zeit war es ein Dilemma der Sozialdemokratie sich mit ihren revolutionären Strömungen und Wurzeln auseinandersetzen zu müssen. Die Bandbreite der linken Bewegung reicht ja von der Aufhebung des privaten Eigentums über die Verstaatlichung der Industrie bis zur sozialen Marktwirtschaft. Mitten in diesem Pool der ideologischen Strömungen schwamm die SDAP, auch nach der Ausrufung der Republik. Großdeutsch, antiklerikal, antimonarchistisch und antikapitalistisch war die österreichische Sozialdemokratie nach 1918. Ideologisch machte der Begriff  „Austromarxismus“ die Runde: Marxismus, aber doch sehr Austro. Zuerst Wahlen, dann proletarische Diktatur war das Motto. Auf gut österreichisch hätte man es unter „ein bissl Revolution“ zusammenfassen können. Nach dem austrofaschistischen Putsch („Ein bissl Faschismus“) wurde die Sozialdemokratie verboten, arbeitete im Untergrund oder lief zu den Nazis über, leistete Widerstand und erstand 1945 wieder als „Sozialistische Partei Österreichs“.
Die Revolution wurde dann aber doch zu Grabe getragen. Man arbeitete in diversen großen Koalitionen mit und führte dann unter Kreisky in der Alleinregierung ein bisher nie dagewesenes Paket an gesellschaftspolitischen Reformen durch. Familienrechtsreform, Schulbuchaktion, Schüler- und Lehrlingsfreifahrt, Fristenlösung, Abschaffung der Studiengebühren und die große Strafrechtsreform waren nur einige Punkte, die damals umgesetzte wurden. Die SPÖ war der Reformmotor der Republik. 1991 wurde dann aus der inhaltlich längst in die Mitte gewanderten Bewegung die „Sozialdemokratische Partei Österreichs“.

Heute hat sie aber diese Mitte in Richtung Diffusität verlassen. Doch ihre Jünger halten ihr weiterhin die Stange. Die Sozialdemokraten sind grundsätzlich ein komisches Volk. Politikwissenschafter wissen: keine Partei spaltet sich so selten wie eine sozialdemokratische. Denn für gewöhnlich wird man dort sozialisiert. Man hat einen sozialistischen Urgroßvater, einen sozialdemokratischen Opa und Vater. Man ist bei den Kinderfreunden, bei den Naturfreunden, beim Begräbnisverein „Die Flamme“. Das Prinzip „von der Wiege bis zur Bahre“ hat sich nirgends so verwirklicht wie in dieser Partei. Doch auch das lässt nach und was einmal eine durchorganisierte Schicksalsgemeinschaft war, ist heute eine lasche Ansammlung von Altfunktionären und jungen Apparatschiks, die gerne diverse Aufsichtsrats oder Kabinettsposten besetzen.

Sozialdemokratie, das hieß einmal Gerechtigkeit und egalitäre Selbstbestimmung im Verband mit seinen Mitmenschen. Man wählt seine Vertreter und tritt für eine gerechte Umverteilung der Mittel innerhalb der Gesellschaft ein. Soweit die grundlegende Theorie. Aber jetzt? Was heißt Sozialdemokratie noch? Falsche Facebook-Accounts gründen, Wikipedia zweifelhaft editieren und Leserbriefe an die Krone schreiben? Als Sozialdemokrat, der noch auf etwas auf den ursprünglichen Wesensgehalt dieser Partei hält, muss es einen ja geradezu ankotzen, wie für das Butterbrot einer kriecherischen Hofberichterstattung jahrhundertealte humanistische Werte über Bord geworfen werden.

Wen interessieren schon Adler, Bauer und Lassalle? Heute hat ja keiner mehr TBC oder Läuse. In der Annahme, dass das moderne Prekariat mit Gemeindebauwohnung, Flatscreen, Ottakringer und Krone-Abo gut versorgt sei, hat man eine ganze Bevölkerungsschicht sehenden Auges in die Arme der FPÖ getrieben, nicht erkennend, dass Armut heute vor allem im Kopf beginnt.
„Jeder Mensch der sich für etwas engagiert, hat eine bessere Lebensqualität, als andere die nur so dahinvegetieren.“ - Bruno Kreisky
Die SPÖ macht sich nicht länger die Mühe, die Leute auf ihr Ideal zu heben, sie geht nicht mehr persönlich auf das Proletariat zu, sie tut es nur noch niveaumäßig. Warum Menschen irgendwo abholen, wenn es doch viel bequemer ist, sie stehen zu lassen. Was früher einmal sozialdemokratische Politik war, ist heute meist nur noch billige Effekthascherei. Man kann den politischen Sittenverfall zwar auch andernorts beobachten, aber der SPÖ ist er aufgrund ihrer Geschichte und ihres Anspruchs an sich selbst besonders vorwerfbar.
„Weil der Mensch zählt!“ - SPÖ Kampagne 2002

Dienstag, 8. November 2011

Der Minister und sein General, oder: Wem die Stunde schlägt.

Verteidigungsminister Norbert Darabos hat seinen höchsten Offizier zu Unrecht entlassen befand die Beschwerdekommission im Bundeskanzleramt kürzlich. Diese sei „beamtet“, wie der Minister im gestrigen ZIB 2 Interview nicht müde wurde zu betonen. Die Intention war klar: Beamte haben einem Beamten Recht gegeben: Krähen hacken sich nicht gegenseitig ein Auge aus. Seine Argumentation gleicht den traurigen Strampelbewegungen eines Ertrinkenden.

Im Bundesheer hat Darabos mittlerweile fast alle Mitstreiter verloren. Man könnt einwenden, dass das für einen roten Minister nicht schwer sei, aber in dieser Form ist ein Vertrauensverlust noch nie vorgekommen. Soldaten haben wohl ein erweitertes Solidaritätsempfinden, um dieses völlig zu verwirken muss man schon einiges anstellen.

Norbert Darabos hätte eigentlich Innenminister werden sollen, dass er ins Verteidigungsressort wechseln würde, erfuhr er selbst erst kurz zuvor. Die SPÖ wollte nach den Regierungsverhandlungen mit der ÖVP sicherstellen, dass sie eines ihrer Hauptwahlversprechen, die Abbestellung der Eurofighter, einlösen würde können. Das Ganze endete in einem Fiasko. Der angesetzte Untersuchungsausschuss fand zwar allerhand Indizien, nach Darabos' Interpretation aber nicht die „rauchende Pistole“, die man für eine Vertragsauflösung gebraucht hätte. Die Stückzahl wurde von 18 auf 15 reduziert, eine Zahl, die eine geordnete Luftraumüberwachung nur schwer möglich macht. Nicht umsonst sind noch immer die Saab 105 OE in der Luft, ein Flugzeugtyp aus den 60ern.
„Unter meiner Amtsführung wird es kein Hinentwickeln des Bundesheeres zu einem Berufsheer geben. An der Wehrpflicht darf nicht gerüttelt werden.“  - Norbert Darabos am 10. Juni. 2010 
In der Folge setzte sich der Minister in ein Fettnäpfchen nach dem anderen. Er bezeichnete den geplanten US-Raketenschild in Tschechien als „Provokation“ und machte den Russen damit eine Freude, während er Tschechen, Polen, US-Amerikaner und die ÖVP gegen sich aufbrachte. Er verantwortete den unpopulären, aber für die Österreichische Kandidatur für den UN-Sicherheitsrat wichtigen, Einsatz des Bundesheeres im Tschad. Letztendlich ließ er sich von Parteifreund Michael Häupl für dessen Wahlkampf instrumentalisieren. Als jener die Abschaffung der Wehrpflicht forderte - ein Konzept, das sein Hauptgegner Strache sicher nicht mittragen könnte - stieg Darabos pflichtgemäß in die Debatte ein, vor allem auch, weil die „Kronen Zeitung“ dafür war. In der Folge wurden fünf Konzepte für eine Reform des Heeres ausgearbeitet, die favorisierten sahen eine Freiwilligenarmee vor. Da die „Krone“ aber in ihrer Abendausgabe bereits behauptet hatte, der Verteidigungsminister werde sieben Konzepte vorstellen, wurden rasch zwei weitere dazugebastelt, um den Ansprüchen des Boulevards zu genügen. Darabos' Schwenk in Sachen Wehrpflicht war aber vor allem deshalb so delikat, weil er noch Monate zuvor für deren Erhalt eingetreten war.
„Für mich ist die Wehrpflicht in Stein gemeißelt. Mit mir als Verteidigungsminister wird es kein Ende der Wehrpflicht geben.“ - Norbert Darabos am 3. Juli 2010
„Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik (...) bin ich zur Auffassung gelangt, dass ein Freiwilligenheer die Zukunft ist.“ - Norbert Darabos am 17. Jänner 2011 
Ich mache an dieser Stelle keinen Hehl daraus, dass ich selbst ein Verfechter der Abschaffung der Wehrpflicht bin. Das Bundesheer in seiner derzitigen Form ist zwar chronisch unterfinanziert, aber eingespielt. Ein Berufsheer würde mehr kosten und die Bereitschaft des Bundesministeriums für Finanzen, diese zu tragen, wären wohl endenwollend. Ja, das sind alles Argumente für die Beibehaltung des Wehrdienstes, meiner Meinung nach wiegt aber ein Gegenargument schwerer als diese zusammen: In Zeiten einer nicht vorhandenen Gefährdung der österreichischen Souveränität durch militärische Bedrohungen von außen, ist ein geschlechterdiskriminierender Zwangsdienst nicht mehr zu rechtfertigen. Es geht einfach nicht an, aus reiner finanzieller und organisatorischer Bequemlichkeit junge Menschen zu schlecht bezahlter Zwangsarbeit für die Republik zu verdonnern. Durch den Fall des Eisernen Vorhangs handelt es sich mittlerweile um einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Grundrechte der persönlichen Freiheit und der freien Berufswahl. Sollte der Dienst nicht abgeschafft werden, so muss man ihn zumindest einer grundlegenden Reform unterziehen: 1. Der Zivildienst darf nicht länger nur „Wehrersatzdienst“ sein, sondern muss als gleichwertiges Äquivalent dem Wehrdienst gegenüberstehen. 2. Der Dienst muss Männer und Frauen gleichermaßen verpflichten. Entweder alle oder keiner.

In Wirklichkeit dreht sich die Diskussion um die Person des Norbert Darabos aber nicht um die Frage der Wehrpflicht. Wie man diese beantwortet, liegt letztendlich an der persönlichen Gewichtung der Argumente. Das österreichische Bundesheer und seine Offiziere hätten wohl auch mit einem Minister leben können, der selbst Zivildienst geleistet und sich für ein Berufsheer ausgesprochen hat. Was Darabos vorgeworfen wird, ist seine Beliebigkeit. Einmal für die Wehrpflicht, dann dagegen, dann wieder der Kronenzeitung nachlaufen und am Ende den Generalstabschef entlassen. Das sind unterm Strich einige Schnitzer zu viel. Insbesondere die letzte Verfehlung des Ministers stieß vielen, nicht nur innerhalb des Bundesheeres, sauer auf.

Edmund Entachers Entlassung als Chef des österreichischen Generalstabes aufgrund einer sehr moderaten Äußerung im Nachrichtenmagazin „Profil“ war eine nicht zu rechtfertigende Entgleisung. Darabos spricht in letzter Zeit gern vom „Primat der Politik“. Dass Beamte selbst über keine demokratische Legitimation verfügen und daher den Weisungen von gewählten oder bestellten Organen unterliegen, ist auch einleuchtend.  Dass sie aber deshalb ihrer Meinungsfreiheit beraubt sein sollen, ist eine Interpretation, die selbst bei freundlicher Auslegung nicht zulässig ist. Edmund Entacher hat nicht die Vollziehung eines Befehles verweigert, er hat seine Meinung gesagt, noch dazu in sehr zurückhaltender Weise. Wenn Norbert Darabos nun behauptet, dass diese Äußerungen schon genügen, um einen „persönlichen Vertrauensverlust“ bei ihm zu bewirken, mag das zutreffen; der Vertrauensverlust kann aber keine Entlassung begründen. 

Ursprünglich war Entacher ja Darabos' Kandidat gewesen, einer der wenigen sozialdemokratischen Offiziere im Heer. Seine Bestellung war politisch opportun, aber keine reine Umfärbeaktion. Entacher genießt in der Truppe Respekt, ist kompetent und insgesamt eine angenehme Erscheinung. Sein Oberlippenbart ist vom Rauchen etwas gelblich gefärbt. Er hat einen leichten Wohlstandsbauch. Zu all dem trägt er Uniform mit drei eichenlaubgefassten Sternen auf den Kragenaufschlägen und Distinktionen sowie rote Lampassen an den Hosen. Und trotzdem vermittelt Edmund Entacher ein Gefühl von Ruhe und Gemütlichkeit, kurz: jede Hand breit ein österreichischer Offizier. Nach dem frühen Tod seiner Frau zog er die beiden Kinder allein groß, dass er es daneben auch in der Karriere so weit bringen konnte, nötigt einem Respekt ab. Sogar der Oberbefehlshaber stellte sich mehr oder weniger hinter den geschassten General, der Verteidigungsminister hatte ihn über dessen Entlassung nicht einmal informiert. Heinz Fischer empfing Entacher nach seiner Versetzung durch Darabos in der Hofburg. Ein Akt, der umso bemerkenswerter erscheint, wenn man in Rechnung stellt, dass Darabos 2004 Fischers Wahlkampfleiter war. Auch sonst hat sich der Bundespräsident mittlerweile weit von seinem ehemaligen Unterstützer entfernt: Am Nationalfeiertag sprach er sich erneut für eine Beibehaltung der Wehrpflicht aus.

Der General wurde letztendlich rehabilitiert, ihm wurde in allen Punkten Recht gegeben. Für Norbert Darabos wird es indessen eng. Von allen Seiten wird mittlerweile sein Rücktritt gefordert. Er ist noch vor Maria Fekter das unbeliebteste Regierungsmitglied, auch wenn die „Umfragen“ der „Zeitung“ „Heute“ etwas anders behaupten. Selbst die „Krone“ gab in einem Online-Bericht ihre Rückendeckung für Darabos merklich auf. Er habe sich nichts vorzuwerfen, meinte der Minister abseits leiser Selbstkritik in der ZIB 2 und er werde den General mittels Weisungen eng an sich binden. In Wahrheit ist die Entscheidung der Berufungskommission im Bundeskanzleramt ein Schlag ins politische Gesicht von Norbert Darabos,  von dem er sich nie wieder erholen wird. Seine Glaubwürdigkeit ist unwiederbringlich verloren und die Liste seiner Anhänger ist kürzer als das Gedächtnis von Walter Meischberger.
Eigentlich hätte er ja immer Landeshauptmann des Burgenlandes werden wollen, aber Hans Niessl denkt noch nicht an Rücktritt und dass Darabos noch so lange Verteidigungsminister bleibt, bis er die Nachfolge in Eisenstadt antreten kann, darf mittlerweile bezweifelt werden.
„Ich glaube, dass ich Glaubwürdigkeit gewonnen habe.“ - Norbert Darabos am 9. Feber 2011