Sonntag, 1. Dezember 2013

Adventkalender 2013

Moesanthrops Adventkalender - 2013

Auch heuer wieder wird es bereits zum vierten Mal (nach 2010, 2011, und 2012) den obligatorischen Adventkalender ohne preußisches Fugen-s geben. Diesmal wirdmet er sich den beiden österreichischen Kardinalstugenden schlechthin: dem Querulantismus und dem Opportunismus. Freuen Sie sich also auf kurze Geschichten voller Vernaderung, Machtvergessenheit, Rechthaberei und Penetranz. Einen fröhlichen österreichischen Advent!
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24. Dezember
Die guten Querulanten
In diesem Adventkalender sind Opportunisten wie Querulanten nicht gut weggekommen. Während einem über Erstere auch schwerlich etwas Positives einfällt, kann man Letzteren doch den einen oder anderen guten Zug zusprechen - wenn man mal von den Briefbombern absieht. Immerhin würden heute wohl Kraftwerke in Zwentendorf und Hainburg stehen, wenn sich nicht genügend Leute zum querulieren gefunden hätten. Und Hermann Gmeiner, der Gründer der SOS-Kinderdörfer, wurde mehrfach von der Polizei einvernommen. Er hatte es gewagt massenweise Spendenaufrufe zu verschicken und geriet in den Verdacht lästig zu werden. Als Sinnbild des guten österreichischen Querulanten schlechthin könnte man die Theaterfigur des Fleischhauers Bockerer sehen. Der Anti-Herr-Karl wurschtelt sich durch die NS-Zeit und beschwert sich bei NS-Behörden ebenso wie bei der russischen Besatzung. Ein Querulant war auch Leopold Figl, als er seine erste Regierungserkärung vor dem Nationalrat, die von den Alliierten zensuriert und umgeschrieben worden war, in seiner Originalfassung hielt. Man sah es ihm nach, er war ja ein Österreicher.
„Karli hast eh das Bild des Führers in die Auslag gem?“
„Na! Wieso? Hängt eh da Sauschädl drinnan!“
Wussten Sie schon?
Die taiwanesische Verfassung kennt nicht drei sondern fünf Staatsgewalten.


23. Dezember
Der mörderische Querulant und die Post
Wenn der Querulant sich schlecht behandel fühlt schreibt er Briefe. Wenn man auf die nicht entsprechend reagiert, kann es sein, dass er dickere Briefe schreibt, mit Zünder und Sprengstoff. Zu dieser Art von Querulanten gehörte nicht nur Theodore Kaczynski sondern auch Franz Fuchs. Der Ingenieur aus Gralla hielt mit seinen Mordanschlägen nicht nur die österreichische Öffentlichkeit, sondern auch die Post in Atem. Um seine tödlichen Kuverts frühzeitig zur Detonation zu bringen, entschieden die Polizei und das Unternehmen Funksender in einigen ausgewählten Briefkästen anzubringen. Durch sie sollten die elektronischen Zünder bereits beim Einwurf auslösen. Leider warf der Attentäter nie einen seiner Briefe in einen der präparierten Kästen. Dafür wurden Birefträger beobachtet, die fleißig Umschläge hineinsteckten und wieder herauszogen. Um die Aktion geheim zu halten hatte die Post ihren Untergebenen mitgeteilt, es handle sich bei den installierten Geräten um Briefzähler. Da einige Postillione fürchteten durch zu niedrig frequentierte Briefkästen arbeitslos zu werden, versuchten sie daher die vermeitliche Zählmaschine auszutricksen. Franz Fuchs sprengte sich später ganz ohne fremde Hilfe die Hände weg. Österreich hatte wieder Ruhe, die Post auch.

Wussten Sie schon?
Der norwegische König Harald V. und sein belgischer Ex-Kollege Albert II. sind Cousins.


22. Dezember
Innitzers Grüße
Theodor Innitzer war von 1932 bis zu seinem Tod 1955 Erzbischof und Kardinal von Wien. Der ursprünglich vom Vatikan favorisierte Kandidat hatte abgesagt, Innitzer war zweite Wahl. Bekannt wurde er vor allem durch sein Verhalten während des Anschlusses. Zunächst unterschrieb er eine Erlärung die selbigen guthieß und unterzeichnete ein Begleitschreiben mit „Heil Hitler“. Insgesamt dreimal unterschrieb er Dokumente mit diesem Gruß. Der Vatikan zitierte ihn nach Rom, wo er einen Widerruf unterschreiben musste. Innitzers naive Hoffnung, sein Entgegenkommen würde der Kirche im Dritten Reich eine privilegierte Stellung einräumen, zerschlug sich bald. Der NS-Staat hob das Konkordat auf und verbot katholische Vereine. Spät aber doch kam er zu sich. In einer Andacht vor Jugendlichen im Stephansdom predigte er: „Es gibt nur einen Führer, Christus … Geht nach Hause und sagt das euren Eltern.“ Als Racheaktion verwüstete die Hitlerjugend darauf das erzbischäfliche Palais. Die Nazis zerschnitten dabei ein Christusbild mit Messern, es blieb bis heute unverändert.

Wussten Sie schon?
Der deutsche Friedhof in Rom, der Campo Santo Teutonico, gehört einer Nationalstiftung deren Vorsitzender, als Nachfolger der römischen und österreichischen Kaiser, der österreichische Bundespräsident ist.



21. Dezember
Die Staatsvertragsquerulanten
Der Staatsvertrag sollte der große Schlussstein in Österreichs Unabhängigkeitsbestrebungen nach 1945 werden, ließ aber bekanntlich eine Weile auf sich warten. Die Verzögerung war, entgegen der generellen Meinung, aber nicht nur den Sowjets, sondern auch den Amerikanern anzulasten. Sie schätzten Österreich als Durchgangsland zwischen den NATO-Partnern Deutschland und Italien und fürchteten dessen Neutralisierung. Zwischenzeitlich verlangte sogar Brasilien vor der UNO die österreichische Unabhänggkeit bald wiederherzustellen. Den Russen konnte man den Staatsvertrag schließlich mit Öllieferungen und dem Versprechen der Neutralität abkaufen. Mit dieser freundeten sich letztendlich auch die Amis an, zumal sie, wie die Sowjets, nicht im Traum daran dachten sie im Kriegsfall zu respektieren. Das war im Übrigen auch der Grund, warum die deutsche Botschaft dem Auswärtigen Amt empfahl zur österreichischen Neutralität keine Stellungnahme abzugeben. Man sei vielleicht in Zukunft gezwungen diese zu missachten. Den Österreichern war es vor allem wichtig eine Passage aus dem Vertrag zu bekommen: die zur Schuldfrage. In der Vorverhandlungen war es nicht möglich gewesen der Sowjetunion dies abzuringen. Sie hielt an der Mitschuld Österreichs, die von ihr bereits in die Moskauer Deklaration reklamiert worden war, fest. Die Österreicher versuchten es weiter. Tatsächlich gelang es Außenminister Leopold Figl, quasi auf den letzten Abdruck, am Vortag die Passage streichen zu lassen. Österreich hatte sich von der rechtlichen Verantwortung befreit, von de moralischen eher nicht.

Wussten Sie schon?
Minister können in Österreich nicht Verfassungsrichter sein, Staatssekretäre schon.


20. Dezember
Land der Verräter
Die grauslichste Form des Opportunismus ist der Verrat, leider auch eine Disziplin in der die Österreicher nicht unbeschlagen sind. Wenn man einmal von den bekannten Erzverrätern quislingschen Ausmaßes wie Seyß-Inquart absieht, bleibt immer noch ein großer Rest über, von denen die meisten zwischen '38 und '45 Karriere machen konnten. Ein Musterbeispiel war der Burgschauspieler Otto Hartmann, der in die konservative „Großösterreichische Freiheitsbewegung“ aufgenommen worden war und diese 1940 an die Gestapo verriet. Etwa 200 Mitglieder und Sympathisanten wurden verhaftet und zwölf von ihnen hingerichtet. Hartmann erhielt 30.000 Reichsmark als Belohnung und machte sich daran die nächste Widerstandsbewegung zu infiltrieren, diesmal bei den Kommunisten. Auch hier gelang ihm der Verrat, die Mitglieder wurden Verhaftet, der Anführer wurde hingerichtet. Erst als Hartmann begann mit seiner Tätigkeit zu prahlen wurde sein Treiben von der Gestapo selbst unterbunden. Er fand jedoch gefällige Aufnahme bei der Wehrmacht in ähnlicher Funktion und konnte sogar nach dem Krieg - wohlgemerkt durch seine „guten Kontakte zum ehemaligen Widerstand“ - in den Polizeidienst des neuen Österreich wechseln. Schließlicht verhafteten ihn die Franzosen, ein Volksgericht verurteilte ihn zum Tode. Doch die Nachsichtigkeit der hiesigen Entnazifizierungsmaßnahmen kam ihm zur Hilfe: Hartmann wurde bereits 1957 begnadigt und starb erst im 90. Lebensjahr 1994 in Wien.

Wussten Sie schon?
Österreich verfügt über zwei Satelliten im Weltall und hat ein eigenes Weltraumgesetz.

19. Dezember
Team BZFPKÖ
Die Überwindungsfähigkeit Österreichischer Politiker ist praktisch grenzenlos wenn es darum geht Liebgewonnenes hinter sich zu lassen, um weiterhin ausgiebig dem Volk dienen zu können. Ein Paradebeispiel hierfür ist das Konvolut an gescheiterten Weltverbesserern das seit einigen Jahren innerhalb des rechten Parteienspektrums als Wanderpokal herumgereicht wird. Martina Schmitz rechtfertigte ihren FPÖ-BZÖ-TS-Wechsel mit den geänderten Arbeitsverhältnissen im 21. Jahrhundert. Immerhin sei es keine Schande in 21 Jahren dreimal den Arbeitgeber zu wechseln. Das mag für Installateure und Manager gelten, aber auch für Politiker? Wenn man einen Arbeitsplatz wechselt, dann wolh meist der Karriere wegen. Vielen freiheitlichen Politikern dürfte es da nicht anders gegangen sein, als sie 2005 ihrem Mentor Haider in das neugegründete BZÖ folgten nur um dann bald nach seinem Tod ihrem neuen Anführer Dörfler und seinen Strippenziehern den Scheuchs in die FPÖ-Tochterfirma FPK zu folgen und nach deren kurzlichen Politkunkurs wieder in den Mutterkonzern heimzukehren. Freilich dämmerte auch den BZÖ-Abgeordneten in Wien, die den Absprung zum FPK verpasst hatten oder dafür zu wenig rechts waren, dass die Zukunft des danach benannten Bündnisses nicht mehr allzu weit reichen würde. Daher suchten dann auch die zuvor Treuesten der Treuen ihr Heil in der Flucht und zwar beim Frank. Und weil auch der Frank nicht jünger und vor allem sein Interesse an der Politik nicht größer wird, zerfällt auch sein Team schon wieder. Seine Truppe in Niederösterreich hat sich für unabhängig erklärt und Sigfried Schalli ist in Kärnten zur FPÖ gewandert - ohne seine Frau natürlich.

Wussten Sie schon?
Bis 1938 war das Österreichische Staatsbürgerschaftsrecht an das Heimatrecht in einer Gemeinde und an die Landesbürgerschaft geknüpft.


18. Dezember
Politische Wiedergänger
Wenn so eine Diktatur das Zeitliche segnet ist das für ihre Anhänger mitunter unangenehm. Als gelernter Österreicher macht man da vor allem eines: Man passt sich an. Das taten auch tausende belastete und minderbelastete ehemalige Nationalsozialisten nach 1945. Die neuen Parteien des freien Österreich nahmen sie mit offenen Armen auf, selbst wenn sie bei der SS gewesen oder am Spiegelgrund Kinder ermordet hatten. Bei den Roten diente der „Bund Sozialdemokratischer Akademiker“ als Auffangbecken für die Braunen. Dorthin verschlug es auch den berüchtigten NS-Arzt Heinrich Gross. Selbst im ersten Kabinett Bruno Kreiskys wimmelte es nur so vor Altnazis: Innenminister Otto Rösch war nicht nur NSDAP-Mitglied sondern auch Lehrer an einer NAPOLA gewesen, auch Bautenminister Josef Moser und Verkehrsminister Erwin Frühbauer hatten eine NS-Vergangenheit. Nur Landwirtschaftsminister Johann Öllinger, der bei der SS gendient hatte, musste nach Protesten - formal aus gesundheitlichen Gründen - zurücktreten. Sein Nachfolger Oskar Weihs, Minister bis 1986, war sogar schon 1932 der NS-Bewegung beigetreten. Auch der Burgenländische Landeshauptmann Kery hatte braune Flecken in seiner Vita. Die Sozialdemokraten standen mit ihrer überfreundlichen Reintegration von Ex-Nazis natürlich nicht alleine. Julius Raabs Finanzminister Reinhard Kamitz war vor 1938 für den NSDAP-Geheimdienst in Österreich tätig gewesen. Der Tiroler Langzeitlandeshauptmann Eduard Wallnöfer, Schwiegervater von Herwig van Staa, hatte es gleich für besser befunden seine NSDAP-Mitgliedschaft nach 1945 unter den Tisch zu kehren. Sie wurde erst nach seinem Tod 2005 öffentlich bekannt. Dass die FPÖ-Obmänner Anton Reinthaler und Friedrich Peter nicht nur einfach mal Parteigenossen gewesen, sondern tief in die Machenschaften des NS-Regimes verstrickt waren, dürfte freilich die wenigsten überraschen. Reintahler war Minister im Kabinett Seyß-Inquart Minister und später NS-Reichstagsabgeordneter gewesen, nebenbei bekleidete er den Rang eines SS-Obergruppenführers. Peter war dort Obersturmführer in einer an massiven Verbrechen beteiligten Einheit gewesen. Sonderlichen Opportunismus kann man den freiheitlichen Parteigranden allerdings kaum vorwerfen, sie blieben nach '45 ihren Überzeugungen ja mehr oder weniger treu.

Wussten Sie schon?
Erst 150 Jahre nach dem Erwerb des Landes besuchte erstmals ein Fürst von Liechtenstein das nach ihm benannte Gebiet.


17. Dezember
Nomen est omen
Wenn die Zeit so ins Land zieht, und mit ihr die Regime, werden in einem Land wie Österreich so einige Umbenennungen fällig. Nach 1918 mussten logischerweise sowohl der Kaiserin-Zita-, also auch der Kaiser-Karl-Ring weichen. Zumindest den Franz-Josephs-Kai und die Habsburgergasse ließ man ihnen. Das Ring-Stück vor dem Parlament machte eine besonders wechselhafte Geschichte durch vom Franzensring (Monarchie - nach dem Kaiser) zum Ring des 12. November (I. Republik - an diesem Tag wurde selbige ausgerufen) über den Dr.-Ignaz-Seipel-Ring (Austrofaschismus und Beginn der II. Republik - nach dem christlichsozialen Bundeskanzler), dann Josef-Bürckel-Ring (Nationalsozialismus - nach dem damaligen Gauleiter) und ab 1949 Parlamentsring bis er schließlich nach dessen Tod nach dem ersten Bundespräsidenten der Zweiten Republik benannt wurde. Dass man gewisse peinliche Änderungen, insbesondere jene nach 1938, zurückgenommen hat, scheint verständlich. Wer möchte denn beim Wiener Christkindelmarkt über den Adolf-Hitler-Platz gehen? Übrigens wäre das steirische Judenburg vom NS-Regime angeblich beinahe in Zirbenstadt umbenannt worden, entging diesem Schicksal jedoch knapp, auch wenn der Jude aus dem Stadtwappen weichen musste. Nach '45 waren die Österreicher dann wie gesagt fleißig im Rückumbenennen, zum Teil sogar überfleißig. Dass etwa der Hermann-Göring-Platz hinter der Votivkirche stante pede in Roosevelt-Platz umbenannt wurde veranschaulicht die Wiener Wandlungsfähigkeit wieder einmal sehr plastisch. Anderswo war man standfester: Im niederösterreichischen Mank gibt es noch heute einen Dr.-Dollfuß-Platz.

Wussten Sie schon?
Die Dänen verkauften 1917 ihre Westindische Kollonie auf den Antillen für 25 Millionen Dollar an die USA.


16. Dezember
Der OGH und die Querulanten
Interessanterweise sind die Querulanten juristisch vor allem ein Fall für das Verwaltungsrecht. Dort können sie sich austoben, dort kann ihnen mittels Mutwillsstrafen gegebenenfalls Einhalt geboten werden. Die ordentlichen Gerichte haben mit dererlei Menschen vor allem zu tun, wenn es um die Justizverwaltung oder um Besachwaltungen geht. Wenn jemand nämlich ohne Rücksicht auf die eigenen Finanzlage herumqueruliert, kann ihm ttsächlich zum eigenen Schutz vom Gericht ein Sachwalter beigestellt werden. Laut Oberstem Gerichtshof muss es dem unter Kuratel Gestellten dabei unmöglich sein „die notwendige Kritik und Selbstkritik aufzubringen, so daß er sich immer wieder in Handlungen einläßt, die ihm schließlich zu persönlichem und materiellem Nachteil gereichen müssen“ (8Ob529/89). Tragikomischerweise berufen Querulanten gegen Besachwaltungsurteile dann meistens auch noch einmal bis zur Höchstinstanz, dann ist allerdings Schluss. Die Abneigung gegen solche Leute ist bei den Letztinstanzen dementsprechend ausgeprägt. Kein Wunder: In Deutschland wird geschätzt, dass 80% aller höchstgerichtlichen Entscheidungen auf Querulanten zurückzuführen sind. Dabei wird ihnen sogar eine gewisse positive Rolle bei der Ausprägung der Rechtsordnung zugestanden. Dem OGH sind die Leute naturgemäß zuwider. Es verwundert daher wenig, dass er sich vehement gegen die Verfassungsbeschwerde gegen Urteile der ordentlichen Gerichte aussprach. OGH-Präsident Eckart Ratz nannte sie sogar eine „Querulantenbeschwerde“ (Die Presse). Eigentlich komisch: Wenn jemand gegen ein OGH-Urteil an den VfGH beruft, hat ja der dann den Scherben auf, ersterem könnte das getrost wurscht sein.

Wussten Sie schon?
Kaiser Leopold I. heiratete seine eigene Nichte, die ihn auch in der Ehe weiterhin Onkel nannte.


15. Dezember
Kaiser Karl
Kaiser Karl war keine besondere Zierde seines Geschlechtes: Von einer Biederen Mutter erzogen blib ihm sein wesentlich weniger biederer Vater Otto eher fremd. Bei ihm herrschte wie bei den meisten Habsburgern das Mittelmaß vor. In seiner Katholizität wurde er höchstens noch von seiner Frau übertroffen. Den Krieg zu beenden war er nicht in der Lage und den Versuch den er dazu machte stritt er später ab. Als es ab 1917 dann schon nicht mehr so gut lief, versuchte er seinen Thron zu retten, indem er mit den Sozialdemokraten paktierte. Vom Reichsrat durch das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz mit umfassenden Vollmachten ausgestattet erließ er einiges an Sozialgesetzgebung, das die Christlichsozialen später gerne zurückgenommen hätten. Um die Roten günstig zu stimmen begandigte er 1918 sogar den ursprünglich zum Tode verurteilten Friedrich Adler, der zwei Jahre zuvor den k. k. Ministerpräsidenten Graf Stürgkh erschossen hatte, und stellte ihm für die Heimfahrt vom Gefängnis sein eigenes Auto zur Verfügung. Am Ende halft alles nichts, Karl musste gehen und starb 1922 auf Madeira. Der „Friedensfürst“, der 1917 den Einsatz von Giftgas am Isonzo mittrug, wurde schließlich 2004 vom Papst selig gesprochen, er hatte eine brasilianische Nonne von den Krampfadern geheilt.

Wussten Sie schon?
Baarle Hertog ist eine belgische Gemeinde die aus 20 Exklaven in den Niederlanden besthet, in denen sich wiederum sieben niederländische Enklaven befinden.


14. Dezember
Renner II
Man kann sich nicht mit den Themen Österreich und Opportunismus beschäftigen und nur einmal auf Karl Renner eingehen. In der Tat ist dieser Großmeister des politischen Richtunsgwechsels nur halb bedient, wenn man ihn auf seine Rolle beim Anschluss Österreichs reduziert. Von faszinierender Schillerndheit war auch sein weg zurück zur Macht im Jahre 1945. Angeblich, so behauptete er später, habe er sich bei den Russen nur über die Behandlung der Bevölkerung beschweren  wollen. Dem reinen Zufall war es natürlich zu verdanken, dass der damals 74jährige beim nächstbesten Sowjetmarschall landete. Dieser, Fjodor Tolbuchin, hatte von Stalin bereits den Auftrag erhalten nach dem alten Tattergreis Ausschau zu halten. Beide hatten sich in ihren Schriften mit dem Spannungsfeld zwischen Nation und Sozialismus beschäftigt, mag sein, dass Stalin Renner daher respektierte.  Jedenfalls wies er seine Truppen an, Renner bei der Bildung einer Übergangsregierung zu unterstützen. Dafür dankte der Staatskanzler a. D. „Seiner Exzellenz Marschall Stalin persönlich wie im Namen der Arbeiterklasse Österreichs aufrichtigst und ergebenst.“ Er bringe, so telegraphierte der alte Fuchs weiter, dem Führer der Sowjetunion „grenzenloses Vertrauen“ entgegen. Der „werte Genosse Stalin“ sprang auf die Schmeicheleien an, Renner erhielt die volle Rückendeckung der Russen, eine Tatsache, die zwar die Westalliierten mehr als misstrauisch gegenüber seiner Regierung machte, Österreich aber mittelfristig eine einheitliche Führung sicherte und es somit vor der Teilung bewahrte. Renners Schwager bestätigte später das Kalkül hinter dessen Handeln. Er habe „die Russen fein hineingelegt.“

Wussten Sie schon?
Bis 1891 war die Prager Zeit die offizielle Zonenzeit der österreichisch-ungarischen Monarchie.


13. Dezember
Schlimmer geht's nimmer - der Herr Karl
Ein Freund von Helmut Qualtinger arbeitete in einer Greißlerei, da gab es einen Lageristen, so fing die Sache an. Aus den Aussagen des genannten Herrn und weiteren Essenzen des österreichischen Vor-, Während-, und Nachkriegsopportunismus schmiedete Qualtinger gemeinsam mit Carl Merz den Herrn Karl. Qualtinger war auf Skandale abonniert: Bei der Aufführung seines ersten Stücks musste die Polizei ausrücken, weil das Publikum lautstark die Todesstrafe für den Autor forderte. Die Reaktionen auf das Portraits des damaligen Durchschnittsösterreichers - außen rot, innen braun und immer ein bisserl betrunken - waren ebenfalls aufbrausend bis hysterisch. Die Telefonleitungen des ORF, der das Ein-Mann-Stück ausgestrahlt hatte, liefen heiß. Die FAZ berichtete, man haben den Österreichern „mehr Wahrheiten ins Gesicht“ gehalten, „als sie während der letzten 16 Jahre... zu hören bekamen.“ Der Spiegel konstatierte der Herr Karl sei ein „unsympathischer Dickwanst mit talmigoldenem Wiener-Herzen auf dem unrechten Fleck; er geht mit biedermännischem Charme über Leichen, stets bereit zum Mitlaufen.“ Ein Bild das sich beim Lesen des Stücks nur bestätigt:
„Da war a Jud im Gemeindebau, a gewisser Tennenbaum. Sonst a netter Mensch. Da ham's so Sachen gegen de Nazi g'schrieben auf de Trottoir .. und der Tennenbaum hat des aufwischen müssen. Net er allan, de anderen Juden eh aa... i hab ihm hingführt, dass ers aufwischt. Der Hausmeister hat glacht, er war immer bei a Hetz dabei. ... Nochn Kriag is er zurückgekommen. Der Tennenbaum. Ich grüße ihn. Er schaut mich net an. Hab i ma denkt: na bitte, jetzt is er bees, der Tennenbaum. Dabei: Irgendwer hätt's ja wegwischen müssen!“

Der Versuch, den Österreichern einen Spiegel vors Gesicht zu halten, verfehlte auch diesmal seine Wirkung nicht. Ein führender Politiker ließ einem der Zuständigen im ORF ausrichten, er gehöre nach Sibirien und Qualtinger erhielt wieder einmal Morddrohungen.

Wussten Sie schon?
Mit den  „Wiener Lokalbahnen Cargo“ besitzt die Stadt Wien ein eigenes Eisenbahngütertransportunternehmen, das europaweit tätig ist.


12. Dezember
Der Pornojäger
In der Liste der großen österreichischen Querulanten nimmt Martin Humer eine besondere Stelle ein. Die als Pornojäger bekannt gewordene erzkatholische Rampensau war nicht nur gegen die liederliche Darstellung menschlicher Fleischeslust, sondern auch gegen Abtreibung, Sexualerziehung, Prostitution und Homosexualität zu Felde gezogen. Sein Pornoarchiv füllte - zu rein wissenschaftlichen Zwecken versteht sich - drei Räume seiner Wohnung. Die Opferbereitschaft Humers war dabei grenzenlos. Irgendwer müsse schließlich „die schwere Arbeit auf sich nehmen und das alles sichten.“ Ein Standard-Artikel beschreibt seine Tätigkeit recht eindrucksvoll:
„Er habe, klagte der gottesfürchtige Wächter, ein hartes Los: Mit dem ersten Hahnenschrei stehe er auf – und zöge sich den ersten Porno rein. Dann erst habe er Zeit für das Morgengebet. Dann gäbe es noch ein zwei Pornos, dann Frühstück. Zwischen den Vormittagspornos, einer kleinen Andacht und dem Mittagessen setze er Schriftsätze auf.“ Standard
Darsteller, Regiseure, Erotikshopbesitzer und Trafikanten: Humer zeigte sie alle an, auch wenn die Justiz an seiner Tätigkeit ein eher untegeordnetes Interesse zeigte. Diese - so der nebenberufliche Jugendschutzbeauftragte von babycaust.de - sei schließlich korrupt. Doch auch die von ihm initiierte Unterschriftensammlung gegen (!) den Rücktritt von Kurt Krenn zeigte keine Wirkung. Immerhin in Vorarlberg schenkte man ihm gehör. Dort gelang es ihm in den 80ern ein polizeilich kontrolliertes Jugenverbot gegen ein deutsches Aufklärungsstück zu erwirken. Humer bestritt, bis zu seinem Tod 2011, seine weitere Karriere mit der Zerstörung moderner Kunst, dem Abladen von Mist vor dem Burgtheater und der Leugnung des Holocaust. Kreuz.net wird ihn vermissen.

Wussten Sie schon?
Die heute in Serbien liegende Stadt Subotica hieß bis 1918 Maria-Theresiopel.


11. Dezember
Österreich, hier wird Ihnen versprochen
Österreich ist das Land der unbegrenzten Versprechungen, wohlgemerkt auch jenes der bregrenzten Haltungen. Als nach dem Ersten Weltkrieg in Kärnten über den Verbleib bei Österreich abgestimmt wurde, schwor man den slowenischsprachigen Einheimischen das Blaue vom Himmel herab. Zweisprachige Schulen, Gleichberechtigung, von Ortstafeln gar nicht zu reden. Kaum hatten sie ihr Kreuzerl gemacht, waren die Versprechungen vergessen. Ähnlich ging es dem Burgenland. Um beim Anschluss des Landes und insbesondere bei der Ödenburger Abstimmung auch den Adel auf die österreichische Seite zu ziehen, wurde bei der Übertragung der Bundesgesetze auf das Burgenland das Adelsaufhebungsgesetz von 1919 absichtlich aufgeklammert. Immerhin wollte man nicht eine Familie, nämlich die Esterhazys, verärgern, der mehr als die Hälfte des ganzen Burgenlandes gehörte. Kaum war das Gebiet österreichisch und Ödenburg verloren, war die Sache ebenso gegessen wie die Selbstbestimmungsrechte der Kärntner Slowenen. Allerdings wurde erst mit dem Ersten Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz 2008 auch die Gültigkeit der Adelsaufhebung im Burgenland ex lege festgestellt. Manchmal dauert es hierzulande sogar lange, bis Versprechungen gebrochen werden.

Wussten Sie schon?
Der Turm des Neuen Doms in Linz sieht deshalb so gedrungen aus weil er, wie alle Gebäude in der österreichisch-ungarischen Monarchie, nicht höher als der Stephansdom in Wien sein durfte.


10. Dezember
Leg dich nicht mit den Bauern an
Sie sind im Nationalrat mehr als überrepräsentiert und bilden ein Bollwerk innerhalb der ÖVP: die Bauern. Ob es darum geht den günstigeren Agrardiesel zu verteidigen oder neue Landwirtschaftsflächenbemessungsmethoden der EU zu kritisieren, die Standesvertreter der österreichischen Agrarökonomen stehen stets zur Stelle. Selbst der Verfassungsgerichtshof muss dran glauben, wenn er sich erdreistet das vor Jahrzehnten illegal übertragene Staatseigentum der Agrargemeinden den Eigentümern zurückzugeben. Aber auch die eigene Zunft ist vor dem Bauernbund in Verbindung mit seiner Zwillingsschwester - der Raiffeisenbank - nicht sicher, wie folgendes Beispiel aus der Judikatur des Obersten Gerichtshofes eindrucksvoll belegt: „Im Jahr 1987 wurden etwa 20.000 bis 25.000 t Bruchreis nach Österreich importiert. Damit konnte anderes Futtergetreide zu 100 % ersetzt werden, so daß dieses jetzt exportiert werden mußte. Das führte im folgenden Jahr wegen des Ansteigens gestützter Getreideexporte zu einer Erhöhung des Verwertungskostenbeitrages für die einzelnen Landwirte. Im Frühjahr 1987 kam es deshalb zu einer Protestwelle der Bauernschaft. Über diese Usmtände wurde damals sowohl in der Fach- als auch in der Allgemeinen Presse wiederholt berichtet; sie waren daher jedem Landwirt bekannt. Im Zusammenhang mit den Importen von Bruchreis gab es im Raum Grieskirchen in Peuerbach eine Bauerndemonstration. Dort hatte ein Landwirt völlig legal Bruchreis gekauft; er wurde deshalb von Bauernbundfunktionären als "Querulant und Streikbrecher" hingestellt. Es kam sogar zu einer Blockade seiner Laderampe, die erst wieder mit Hilfe der Gendarmerie freigemacht werden konnte. Angesichts des Unmutes in der Bauernschaft nahm der Raiffeisensektor von Importen von Bruchreis Abstand, obwohl sie wirtschaftliche Vorteile gebracht hätten. Im Jänner 1988 erließ das Wirtschaftsministerium - offenbar auf Vorschlag der Präsidentenkonferenz der Österreichischen Landwirtschaftskammern - eine Notverordnung, welche die Jahresimporte von Bruchreis auf 22.500 t für die Brauindustrie und  2.500 t für sonstige Zwecke begrenzte.“ 4Ob71/90

Wussten Sie schon?
1918 waren auch die Namen „Deutsche Alpenlande“, „Hochdeutschland“ , „Donau-Germanien“ , „Treumark“ , „Deutsches Friedland“ und „Norische Republik“ für den Staat Österreich im Gespräch. 


9. Dezember
Da Papa wird's scho richten
Felix Hurdes war ein engagierter Österreicher und ÖVP-Politiker. 1945 begann er seine Nachkriegskarriere als schwarzer Generalsekretär, Unterrichtsminister, Abgeordneter und Rechtsanwalt. Als gelernter Österreicher war er natürlich hervorragend vernetzt, bis zu einem Grad den man hierzulande als Verhaberung bezeichnen könnte. Man konnte ihn auf allen Veranstaltungen finden, die man als Mensch mit Einfluss - vor allem wenn man diesen zu behalten gedachte - zu jener Zeit besuchen musste. Von ihm stammt daher auch der vielsagende Satz „Nehmt's mir net übel, wenn i' heut net mehr aufsteh. Das ist heut' mein vierter Ball.“ Als der Sohn des damaligen Nationalratspräsidenten Hurdes in einen eher ungustiösen Autounfall verwickelt war, erschien es dem Herrn Papa opportun nach österreichischer Manier die Sache auszubügeln. Dummerweise wurde die Geschichte öffentlich, ein Parlamentsmitarbeiter, der darin verwickelt gewesen sein soll, wurde zur Strafe in den Kohlenkeller verbannt. Die Kaberettisten Bronner und Qualtinger griffen die Story auf und verwerteten sie in ihrem Lied „Der Papa wird’s schon richten“, das in einer ORF-Sendung live ausgestrahlt wurde. In der Volkspartei begann man die Messer zu wetzen. Hurdes Amt als Präsident des Nationalrates endete noch im selben Jahr mit Ablauf der Legislaturperiode.

Wussten Sie schon?
Die Mitteleuropäische Zeit wurde in Frankreich erst mit dem deutschen Einmarsch 1940 eingefüht, Monaco folgte fünf Jahre später.


8. Dezember
Wie die ÖVP beinahe die FPÖ geschluckt hätte
Bei der Nationalratswahl 1945 waren die ehemaligen Nationalsozialisten von der Wahl ausgeschlossen worden, ein Verbot das für den Urnengang 1949 fallen sollte. Entsprechend intensiv bemühten sich ÖVP und SPÖ um die Stimmen der „Ehemaligen“. Vor allem die Volkspartei versuchte das scheinbar bürgerliche Lager zusammenzuhalten und versammelte durch ihren Minister Alfred Maleta einige Ex-Nazis im Haus dessen Schwiegervaters in Oberweis in der Nähe von Gmunden. An der Besprechung nahmen unter anderem Ernst Wührer, der Asjutant Kaltenbrunners und der NS-Professor Taras Borodajkewycz teil. Der ÖVP lag daran die Gründung eines Sammelbeckens der Ehemaligen zu verhindern, aus diesem Grund wurde mit den Braunen für den Fall ihres Engagements für die Schwarzen fleißig um Posten geschachert. Der ebenfalls anwesende spätere Bundeskanzler Julius Raab soll bei der Gelegenheit die Bemerkung fallen gelassen habe, er sei ohnehin nie Demokrat gewesen. Borodajkewycz verlangte die Ablösung des parteilosen Justizministers Gerö, der von den Nazis als Halbjude verfolgt worden war. Außerdem sollte der nächste Bundespräsidentschaftskandidat der ÖVP mit Unterstützung der Altnazis ausgewählt werden. Als Draufgabe verlangte man schließlich angeblich noch 25 Abgeordnetensitze über die ÖVP-Liste zu bekommen und diese vom Klubzwang freizustellen. Die Forderungen waren der ÖVP letztendlich doch zu hoch, vor allem nachdem das Gespräch in der Öffentlichkeit bekannt geworden und schwer kritisiert worden war. Die SPÖ forcierte gleichzeitig die Gründung einer Auffangpartei für ehemalige NSDAP-Anhänger, vor allem um der ÖVP zu schaden. Als Konsequenz trat der Verband der Unabhängigen, der 1956 in die FPÖ überging, bei der Nationalratswahl 1949 an und zog mit 16 Abgeordneten ins Parlament ein. Der Rest ist Geschichte.

Wussten Sie schon?
Elisabeth Plainacher (1513-1583) war die einzige Person, die in Wien als Hexe hingerichtet wurde.


7. Dezember
Querulantoptimus Renner
Ein Historiker hat einmal gemeint Karl Renner habe den Opportunismus ins Großartige gesteigert, dem kann kaum widersprochen werden. Immerhin stimmte er in einem Zeitungsinterview 1938 dem Anschluss zu nur um ihn dann in der österreichischen Unabhängigkeitserklärung als militärischen Überfall mit Unterstützung einer „nazifaschistischen Minderheit im Innern“ darzustellen. Wenig bekannt ist allerdings dass Renner, gestützt auf die Opferthese, von den Deutschen Reparationen verlangen wollte. Angeblich hatte er sogar an Gebietsabtretungen – das deutsche Eck sei im Gespräch gewesen – gedacht. Die Alliierten hielten das ganze jedoch ebenso für eine Schnapsidee wie naturgemäß die Deutschen. Adenauer soll gemeint haben, wenn die Österreicher Reparationen forderten werde er ihnen die Gebeine Hitlers schicken. Von einer weiteren Vertiefung der Thematik wurde österreichischerseits abgesehen, immerhin hatte man schon das gesamte deutsche Eigentum im Land verstaatlicht.

 Wussten Sie schon?
 Bad Sauerbrunn war die erste de facto Hauptstadt des Burgenlandes.


6. Dezember
Abwehrkrampf
Kaum ein politischer Konflikt war in der Zweiten Republik so virulent wie der Ortstafelstreit in Kärnten. Dabei sind die Rollen scheinbar gleich verteilt: slowenischsprachige gegen deutschsprachige Kärntner, die Windischen irgendwo dazwischen. So schwarz-weiß ist das Bild vom gespaltenen Kärnten nun doch wieder nicht. Wirft man einen scharfen Blick auf die Volksabstimmung von 1920 findet man dort jede menge opportunistisches Stimmverhalten. Die slowenischen Frauen sollten mit dem Hinweis auf die Wehrpflicht im SHS-Staat zur Stimmabgabe für Österreich motiviert werden. Sonst, so die Propaganda, müssten ihre Söhne für König Peter in den Krieg. Tatsächlich was die Abstimmungszone A genau so bemessen worden, dasss sie an das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen gefallen wäre, wenn alle slowenischsprachigen Einwohner entsprechend abgestimmt hätten, was sie aber nicht taten. Allerdings unterstützten unerwartet viele Kärntner in der mehrheitlich deutschsprachigen Gemeinde Ferlach den Anschluss an das spätere Jugoslawien und zwar ebenfalls wegen der Wehrpflicht. In Ferlach werden traditionell viele Waffen hergestellt. Von der südslawischen Wehrpflicht erhoffte man sich einen besseren Absatzmarkt als vom österreichischen Berufsheer.

Wussten Sie schon?
Da in Louisiana als ehemaliger französischer Kolonie nach wie vor in weiten Teilen Recht auf Basis des Code Napoleon gilt, haben Anwälte aus anderen US-Bundesstaaten dort keine Zulassung.


5. Dezember
Statthalters Linsensuppe
 Arthur Seyß-Inquart war ein gebürtiger Sudetendeutscher, der in Wien als Rechtsanwalt diente bis er sich entschied Nationalsozialist zu werden. Als sich die Österreicher entschieden Österreich an den Teufel zu verschachern war Herr Seyß-Inquart zur Stelle um die Abwicklung zu erledigen. Die Deutschen verlangten ein Telegramm mit dem der Bundespräsident Willhelm Miklas deutsche Truppen anfordern sollte. Seyß konnte ihn nicht überreden, weshalb man in Berlin so tat als wäre ein entsprechendes Telegramm angekommen und darauf antwortete. Als er dann auf irgendeine Weise Kanzer geworden war versuchte er noch den Einmarsch aufzuhalten, vergebens. Bald war er nur noch Reichsstatthalter, ein österreichischer Quisling. Der Schriftsteller Joseph Roth schrieb ihm aus seinem frabzösischen Exil einen Brief in dem er sein Ausscheiden aus der österreischen Armee verkündete, um jeder Gefahr entgegenzutreten in einer deutschen Soldatenliste geführt zu werden. Er hoffe, so Roth, mit seinem Anliegen nicht zu hohe Ansprüche an Seyßes Skrupelhaftigkeit zu stellen, zumal er sein Land „um das Linsengericht einer Statthalterei“ verkauft habe. Er fürchte außerdem seine militärischen Auszeichnungen könnten zu seiner Einberufung führen:
„...ich habe niemals von meinen Auszeichnungen gesprochen, Herr Statthalter, sondern ich spreche von ihnen in diesem Augenblick erst, in dem Sie mich durch Ihren Mangel an menschlicher Ausgezeichnetheit mittelbar veranlassen, Ihnen zu sagen, daß meine soldatischen Eigenschaften in der Stunde des Abenteuers, das Ihr Führer vorbereitet, nicht Ihrer österreichischen Statthalterei und nicht dem jüngst erfundenen und erzwungenen neuen „Großdeutschland“ dienen werde, sondern dessen Feinden... Ich will es vermeiden, daß ich etwa eine Auszeichnung von einem österreichischen Statthalter Ihrer Art erhalte, und bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich kein österreichischer Soldat mehr bin.“
 Arthru Seyß-Inquart wurde in der Folge zum Statthalter der Niederlande und schließlich für seine Beteiligung am nationalsozialistischen Völkermord von einem Nürnberger Scharfrichter zum Tode befördert. Man könnte fast glauben es gäbe sowas wie Gerechtigkeit.

Wussten Sie schon?
Im Schweizer Kanton Graubünden gab es früher für Katholiken und Protestanten gertennte Regierungen, bis hin zu den Postdiensten.


4. Dezember
Der Obersthofopportunist
Am Hof der Habsburger war opportunistisches Verhalten an der Tagesordnung. Je nach Rang und Amt versuchten die diversen Schranzen sich gegenseitig eins auszuwischen beziehungsweise dem Mitglied des kaiserlichen Hauses, unter dessen Protektion sie standen, damit zu dienen in dem sie dessen Feinde zu den eigenen zu machten. Unter all diesen Schattengestalten nahm Fürst Alfred von Montenuovo eine besondere Stellung ein. Er war ein Enkel aus zweiter Ehe der Erzherzogin Marie-Louise, der vormaligen Gattin Napoleons, und Obersthofmeister Kaiser Franz Josephs sowie dessen Nachfolgers Karl. Wer zum Kaiser wollte, musste an ihm vorbei. Besonders eindrücklich findet sich dieser Umstand in Joseph Roths Roman Radetzkymarsch beschrieben, in dem der Bezirkshauptmann von Trotta versucht eine Audienz zu erhalten, um seinen Sohn zu retten. Der Obersthofkeister hatte einen Erzfeind, das war der Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand. Wie die Großmutter Montenuovos hatte auch dieser morganatisch, also unter Stand geheiratet, nämlich eine Gräfin Chotek, die spätere Herzogin von Hohenberg. Der Standesunterschied wurde unter den scharfen Augen des kaiserlichen Hofbeamten stets hervorgestrichen. Die Gattin Franz Ferdinands musste vor jedem Mitglieg des Kaiserhauses den Hofknicks machen. Außerdem durften der Thronfolger und seine Frau laut Protokoll nicht im selben Wagen fahren. Doch Sarajevo war weit weg von Wien und weit weg von Montenuovo. Die seltene gemeinsame Autofahrt wurde auch Sophie von Chotek zum Verhängnis, die Verachtung des Obersthofmeisters bekam sie dafür selbst noch im Tod zu spüren. Er erließ folgende Anordnung: „Weiland Ihre Hoheit Herzogin von Hohenberg kann als nicht ebenbürtige Gemahlin nicht mit einer Hoftrauer betrauert werden.“ Ihr Sarg wurde einen halben Meter tiefer gestellt als der ihres Ehemannes und davor wurden ein Paar Handschuhe und ein Fächer hingelegt, die Insignien einer Hofdame.

Wussten Sie schon?
Die Queen hat eine leichte Sonnenallergie, die Konsequenz einer Erbkrankheit, deren schwerere Form George III. zeitweise geisteskrank und regierungsunfähig machte.


3. Dezember
Der Querulant im österreichischen Recht
Ein Land, in dem dem Querulantismus publizistische Denkmäler wie „Der Bockerer“ errrichtet wurden und in dem man ihn quasi zum Nationalethos erhoben hat, bedarf selbstverständlich detallierter gesetzlicher Bestimmungen zur Eindämmung desselben. Da der Österreicher von Natur aus obrigkeitsgläubig und reaktionär eingestellt ist, bildet diese Form des legalen Widerstandes gewissermaßen ein natürliches Regulativ. Als Querulant kann man unter vollständiger und demütiger Beachtung aller staatlichen Autoritäten selbigen das Leben zur Hölle machen. Nichts ist für einen Beamten so schrecklich wie ein Bürger, der hartnäckig auf seinem (vermeintlichen) Recht besteht. Um solche Einschreiter loszuwerden, lauert der geplagte Staatsdiener wie ein Raubtier darauf, dass sein Peiniger den entscheidenden Fehler begeht: Er muss sinnlose Eingaben machen. Solange er nur nervt, aber sich auf Gesetze berufen kann, bleiben dem Amt die Hände gebunden. Andernfalls kann es mit Mutwillensstrafen zurückschlagen. § 35 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes statuiert, dass gegen „Personen, die offenbar mutwillig die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder in der Absicht einer Verschleppung der Angelegenheit unrichtige Angaben machen“ die Behörde eine Bußen bis zu 726 Euro (10.000 Schilling) verhängen kann. Laut Verwaltungsgerichtshof dient dieses „Mittel zur Sicherung einer befriedigenden, würdigen und rationellen Handhabung des Verwaltungsverfahrens“. Die gesetzliche Keule zur Wahrung der Würde des Verfahrens kommt etwa dann zu tragen, wenn jemand seine Parkstrafe in 17 Einzelraten überweist oder wenn ein Anwalt sich beispielsweise telefonisch und schriftlich beschwert (VwGH 95/19/1706). Es ist wohl verständich, dass ein Höchstgericht genervt reagiert, wenn jemand ständig versucht die Erhebung der Einkommenssteuer als Akt unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu bekämpfen (VwGH 0187/77). Für den Bürger kann es auch ungemütlich werden, wenn er einen Bescheid anfechten will, weil die Unterschrift des Beamten unleserlich sei (besonders Beachtenswert die Definition des Begriffes Unterschrift durch das Gericht: VwGH 94/10/0013). Auch sollte man davon Abstand nehmen sich beim Verwaltungsgerichtshof darüber zu beschweren, dass der Verwaltungsgerichtshof eine Beschwerde über den Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen hat, da verliert selbst der Verwaltungsgerichtshof die Geduld (VwGH 93/01/0325). Aber, „what goes around comes around“: Die mitunter schlimmsten Querulanten sind pensionierte Beamte, die sich am Staat rächen wollen:
„Der Antragsteller, der als rechtskundiger Beamter des Bundes (Legationsrat) zum 1. Jänner 1993 in den Ruhestand versetzt worden war, hat seit 1992 ca. 530 Beschwerden und Anträge beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht (Stand 1. Juni 1998). Er betrachtet dies eigener Aussage zufolge als ,Beitrag zum Beschäftigungspaket der Bundesregierung, um 57 Planstellen auszulasten´ ... an anderer Stelle hat er darauf verwiesen, daß ,die kommenden 30 Jahre dem Vergeltungssekkieren der Justiz gewidmet´ seien.“ (VwGH 98/10/0183)

Wussten Sie schon?
Wer in Österreich ab dem 1. Juli 1926 in Kronen und nicht in Schilling abrechnete, wurde laut Gesetz mit 60.000 Kronen Strafe belegt.


2. Dezember
Wie Kaiser Franz sein Volk beschiss
Kaiser Franz, dem sein beamtischer Repressionsapparat den Beinamen „der Gute“ verpasst hat, war ein geplagter Mann. Sein ältester Sohn war ein epileptischer Trottel, seine Tochter mit dem imperialen Parvenü Napoleon verheiratet, mit dem er auch noch permanent im Clinch lag und zu guter Letzt war er auch noch über beide Ohren verschuldet. Mit seinem Volk hatte er es sich auch schon verscherzt. Den Tirolern und Vorarlbergern hatte er 1809 per Handschreiben versichert, dass ihre Heimat „nie mehr von dem Körper des Oesterreichischen Kaiserstaates soll getrennt werden“, zwei Monate später musste er sie im Frieden von Znaim den Bayern überschreiben. Als ihm sein Schwiegersohn auch noch eine enorme Summe als Reparationszahlung abnötigte, war der gute Franz endgültig erledigt. Er hatte den Krieg großteils über die Ausgabe von Papiergeld finanziert, das er nun um 80% abwerten ließ. Seine Untertanen verloren damit vier Fünftel ihrer Ersparnisse, der Staat denselben Teil seiner Schulden. Franz zog aus der Miesere jedoch keine nachhaltigen Lehren. Schon fünf Jahre später war der Staat erneut pleite, diesmal nicht nur wegen der Kriegskosten, sondern auch aufgrund der enormen Summen, die die Abhaltung des Wiener Kongresses verschlang. Nun ließ der Kaiser das Papiergeld vorübergehend ganz abschaffen. Die kaiserliche Familie hatte den Informationsvorteil um den bevorstehenden Geldwertverlust jedoch genutzt, um ihre Schulden noch schnell mit den massenhaft kursierenden Banknoten zu bedienen. Die Wut der Wiener ging schließlich so weit, dass sie am Reiterstandbild des posthum wesentlich beliebteren Josephs II. ein Plakat anbrachten auf dem stand: „Josef, was sind das für Zeiten? Steig owa, lass den Franzl reiten.“

Wussten Sie schon?
Der aktuelle Text der §§ 211 und 212 des deutschen Strafgesetzbuches stammt weitestgehend von Roland Freisler, dem Präsidenten des Volksgerichtshofes in der Zeit des Nationalsozialismus.


1. Dezember
Wie das Montafon sein f behielt
Im Süden von Bludenz, im hintersten Winkel von Vorarlberg, liegt ein Tal mit zehn Gemeinden: das Montafon. Der Herrgott weiß, warum es so heißt, Namensgeber waren wohl die später durch die alemannische Landnahme assimilierten Romanen. Recht sicher ist, dass die erste Silbe vom lateinischen mons (Berg) kommt. Im Dialekt heißt die Gegend seit jeher Muntafu. Das könnte schon alles sein, was es über den Namen dieses südlichsten aller Vorarlberger Täler zu sagen gibt, wenn da nicht die Geschichte mit dem „v“ gewesen wäre... Flurnamen sind in Vorarlberg kein einfaches Pflaster, jahrhundertelang reichte es, dass es einen Vorarlberger Namen gab, dann mussten plötzlich deutsche her. Besonders gut sieht man das am Bahnhof von Lauterach, zum dem jeder Vorarlberger einfach Lutrach sagt, auf dem groß „Lautrach“ steht. Irgendwann fand man es besser in der amtlichen Schreibweise noch ein „er“ unterzubringen, vielleicht weils deutscher klingt. 1956 machte sich dann die Landesregierung daran per Verordnung die Schreibweise aller Vorarlberger Städte, Dörfer, Weiler, Flüsse, Bäche und Wiesen einheitlich festzulegen. Dabei verfiel man im Bregenzer Landhaus auch auf die Idee aus orthographischer Gründlichkeit aus dem Montafon ein Montavon zu machen, mit fatalen Folgen. Die Bevölkerung im Tal, die man natürlich nicht gefragt hatte, begehrte auf: Es kam zu Versammlungen und Demonstrationen. Die Sache bekam das Ausmaß einer politischen Krise und wurde als Montafon-Affäre gehandelt. Der etwas autokratische Landeshauptmann Ulrich Ilg und sein persönlicher Rasputin, ex-NSDAP-Mitglied und Landesamtsdirektor Elmar Grabherr, versuchten den Deckel draufzuhalten um einen Gesichtsverlust zu verhindern - vergebens. Am 6. November 1956 verschafften sich die Neo-Montavoner in einer Großkundgebung neuerlich Luft. Ein Jahr später musste der Landeshauptmann nachgeben: Per Erlass vom 18. November 1957 wurde das geraubte „f“ zurückerstattet. Die Montafoner waren zufrieden.

Wussten Sie schon?
In Norwegen ist es üblich Bilder der Königsfamilie ins Klo zu hängen. Früher benutzte man dort Zeitungspapier für das persönlichste aller Bedürfnisse, verwendete aber aus Respekt die dort abgedruckten Bilder des Herrscherhauses nicht, sondern hängte sie stattdessen auf.

Dienstag, 12. November 2013

95 Jahre oder: Hoch die Republik!

Ausfrufung der Republik am 12. November 1918
Der 12. November 1918 war ein recht aufgeregter Tag für die Provisorische Nationalversammlung. Am Vortag war Viktor Adler, der Gründervater der Sozialdemokratie, gestorben. Die tschecho-slowakische Regierung richtete ein Beileidsschreiben an das Parlament. Ansonsten beschäftigte sich die Tagesordnung mit den fundamentalen Notwendigkeiten, die ein gerade erst entstehender Staat zu besorgen hat: Ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz sollte beschlossen werden, ein Staatsgesetzblatt musste her, die renitenten Länder wollte man mit einem „Gesetz über die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern“ wieder ins Boot holen und auch die „richterliche Gewalt“ wollte neu geregelt werden. Der größte Tagesbrocken war jedoch ein Antrag der als „Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich“ firmierte. Es ging um die Ausrufung der Republik.

Verzichtserklärung Kaiser Karls
Genau 640 Jahre und 78 Tage nachdem Rudolf I. in der Schlacht auf dem Marchfeld den Böhmenkönig Ottokar besiegt und ihm Österreich abgeluchst hatte, machte sich das Provisorische Parlament nun daran die Herrschaft der Habsburger endgültig zu beenden. Am Vortag hatte Kaiser Karl bereits auf „jeden Anteil an den Staatsgeschäften“ verzichtet, es aber abgelehnt explizit abzudanken. Der Nationalversammlung genügte das. Karl Renner sprach am Folgetag vor dem hohen Haus unter „stürmischem Beifall und Händeklatschen“. Man bot dem „ehemaligen Träger der Krone“ an, als einfacher Bürger im Land zu bleiben und beschloss einstimmig die Annahme jenes Gesetzes, das Österreich zur Republik machte. Um 15:55 Uhr wurde die Sitzung unterbrochen, die Abgeordneten begaben sich auf die Rampe des Parlamentes, wo die neue Staatsform proklamiert wurde. Beim Hissen der rot-weiß-roten Fahne kam es zu Tumulten. Einige Linke rissen den weißen Streifen heraus und zogen den roten Fetzen hoch, ein Vorgeschmack auf die politische Turbulenzen der folgenden Jahre. In den Tagen darauf musste die Volkswehr in der Säulenhalle des Parlamentsgebäudes Stellung beziehen um einen kommunistischen Putsch zu verhindern. Die demokratische Republik hatte von Anfang an nicht nur Freunde, vor allem auch weil sie als Kind der Sozialdemokratie galt. 1919 erklärte man das Datum zum „Ruhe- und Festtag“, 1928, zum zehnjährigen Jubiläum, ließ das rote Wien am „Ring des 12. November“ (heute „Dr.-Karl-Renner-Ring“) das Republikdenkmal errichte, vergaß aber darauf auch Nichtsozialdemokraten zu ehren. 

95 Jahre, einen Staatskanzler, zwei Nationalversammlungen, zehn Bundespräsidenten, 27 Bundeskanzler, 25 Gesetzgebungsperioden des Nationalrates, einen Bürger- und einen Weltkrieg später steht sie wider Erwarten immer noch: die Republik. Immerhin hatte die Provisorische Nationalversammlung noch am Tag seiner formellen Gründung Deutschösterreich zum Bestandteil des Deutschen Reiches erklärt. Der Deutschnationalismus grassierte wie die Pest und Staatskanzler Renner hielt bereits in seiner Rede zur Republiksausrufung fest: 
„...in dieser Stunde soll unser deutsches Volk in allen Gauen wissen: Wir sind ein Stamm und eine Schicksalsgemeinschaft“
Dass es einen Anschluss, einen Weltkrieg und einen Völkermord brauchen würde, um Österreich von dieser Krankheit zu heilen konnte 1918 keiner absehen. Aber tatsächlich hat Austria, das zähe alte Weib, nicht nur den eigenen Untergang überlebt sondern es mittlerweile auch auf ein beachtliches Alter gebracht. 95 Jahre habsburgfreie Zone sind vielleicht nicht für jeden sonderlich erwähnenswert. Von 95 Jahren Volldemokratisierung kann ja leider nicht gesprochen werden, ohne Dollfuß/Schuschnigg- und Nazi-Interregnum waren es bislang 84. Ja sogar der Name des Staates hat sich geändert. Das Deutsch- ließ man zunächst auf Verlangen der Alliierten, später dann freiwillig weg. Von den Gesetzen, die am 12. November 1918 beschlossen wurden, ist heute keines mehr in Kraft. Die Republikserklärung wurde durch das Bundes-Verfassungsgesetz abgelöst. Selbst die Verzichtserklärung von Kaiser Karl ist nicht erhalten geblieben, das Original Verbrannte 1927 im Justizpalast. Mittlerweile möchte die „schwarz-gelbe Allianz“ die Republik gerne hinterherschicken und 2018 die Monarchie wieder einführen. Da aber selbst die Sissi-Filme keinen dynastischen Eifer im breiten Volk entfachen konnten, ist anzunehmen, dass dies auch der runde Geburtstag in fünf Jahren nicht schaffen wird. Das Republikdenkmal wurde von den Austrofaschisten nach 1934 abgebaut und in irgendeiner Lagerhalle vergessen. Man hat es nach 1945 gefunden und wieder aufgestellt, auch wenn eine Büste nachgegossen werden musste. Jahre später wurde darauf ein Sprengstoffanschlag verübt. Man weiß bis heute nicht wer dahinter steckte, aber eigentlich ist das auch zweitrangig. Manche Dinge ändern sich eben doch nicht: Scheinbar ist die Republik etwas das immer noch angegriffen wird und daher verteidigt werden muss.

Montag, 30. September 2013

Das Leben geht weiter, oder: Warum das Ergebnis der FPÖ kein Weltuntergang ist

Uh ah, die FPÖ hat 21,4% bekommen, laut vorläufigem Endergebnis, der Stronach ist auch drinnen und überhaupt... wie schrecklich. Die Steiermark haben sich die Blauen auch noch geholt. Dabei hat die FPÖ nur ihr latent vorhandenes Potential ausgeschöpft. Man darf auch nicht vergessen, dass sie 1999 bereits bei fast 27% lag und gemeinsam mit dem BZÖ nach der letzten Wahl 2008 auf über 28% kam.

Österreich ist grundsätzlich ein rechts-konservatives Land mit leichter Verführbarkeit zum Populismus. Das war es schon immer. Natürlich verschreckt es, wenn man bedenkt, dass die SPÖ nach dem vorläufigen Ergebnis dieser Wahl nur 0,19% vor dem besten Ergebnis der FPÖ von 1999 liegt, aber der Eindruck es habe einen Rechtsruck gegeben oder die Verhältnisse seien schlimmer geworden trifft nicht zu. In Wahrheit waren sie, auch wenn das wenig tröstlich sein mag, schon immer so schlimm.

Die steirische Regierung hat bei dieser Wahl einen Sonderdenkzettell erhalten, im Übrigen einer der wenigen Fälle in denen Landespolitik eine Bundeswahl beeinflusst hat und nicht umgekehrt. Wenn sogar die Bürgermeister der eigenen Partei dazu aufrufen, diese nicht zu wählen ist das ein politisches Armutszeugnis. SPÖ und ÖVP haben - nicht nur in der Steiermark - vor allem ein Kommunikationsproblem. Sie können die Sinnhaftigkeit ihrer Politik nicht mehr vermitteln. Niemand hat sich die Mühe gemacht in die Gemeinden zu fahren und dort zu erklären: „Es ist bitter, aber es muss sein.“ Vielmehr hat man Zusammenlegungslisten von Graz aus veröffentlicht: Ein Todesurteil ohne Prozess und Begründung, so etwas rächt sich. Das Bild auf der Bundesebene ist ähnlich: Der SPÖ laufen die Arbeiter davon. 34% der Arbeiter wählten diesmal freiheitlich, nur 25% Sozialdemokraten. Gleichzeitig gingen nur 26% der Stimmen derjenigen, deren höchster Bildungsabschluss eine Lehre ist, an die SPÖ, aber 36% an die Blauen. Auch die Jungen wollen von den Regierungsparteien nichts wissen: Die FPÖ ist hier mit 23% stärkste Partei, die SPÖ kommt sogar nur auf Platz vier (siehe derstandard.at). Diese Situation lässt sich der politischen Unfähigkeit der großen Koalition zuschreiben, Politik auch als solche zu verkaufen. Ihre Versagen sind offensichtlich, die Erfolge verschwinden unkommentiert. Mehr als „die niedrigste Arbeitslosigkeit der EU“ dürfte bei den wenigsten hängen geblieben sein.

Das Wahlergebnis ist aber nicht nur durch Kommunikationsschwächen und Populismus zu erklären: Österreich ist strukturkonservativ. Die Werte der bürgerlichen und rechten Parteien haben sich in den letzten Jahren kaum verändert. Rechnet man deren Wahlwerte zusammen, kamen sie in den letzten Jahrzehnten immer über 50%. Nur 2006 lagen ÖVP, FPÖ und BZÖ zusammen prozentuell knapp unter der Hälfte der Stimmen, bei den Mandaten aber immer noch darüber. Daran hat sich auch mit dieser Wahl nichts geändert. Rechnet man die NEOS nicht dazu, hat der Stimmenanteil bürgerlicher, libertärer und rechter Parteien seit der Wahl 2008 um nur 0,44% zugenommen. Die Gefahr einer neuerlichen Regierungsbeteiligung der FPÖ ist immanent, sie war es aber auch schon vor fünf Jahren. Dass die ÖVP diesmal das Experiment einer Mitte-Rechts-Regierung eingeht ist aber aus mehreren Gründen unwahrscheinlich:
  • Eine Dreierkoalition wäre ein österreichisches Novum und mit vielen Risken verbunden. Man müsste neben der ohnehin volatilen FPÖ noch eine jener Parteien hinzunehmen, die bislang noch nicht im Nationalrat vertreten waren. Das Team Stronach wäre mit seiner EU-Fundamentalkritik, den mangelnden Personalreserven und dem wankelmütigen Vorsitzenden für die Schwarzen aber ebenso keine gute Wahl wie die NEOS, die sich nach dem Einzug ins Parlament erst profilieren müssen und mit der FPÖ noch größere Schwierigkeiten haben dürften, als die Volkspartei selbst.
  • Ein oft vergessenes Detail: Der Bundespräsident ernennt die Regierung und Heinz Fischer ist ein deklarierter Großkoalitionär. Wenn SPÖ und ÖVP über eine Mehrheit verfügen, dürfte es ihm nicht schwerfallen ihnen die gemeinsame Regierung aufzuzwingen.
  • Erwin Pröll will die große Koalition. Da laut Parteichef Spindelegger kein Blatt Papier zwischen ihn und die dunkelgraue Eminenz der ÖVP passt, dürfte deren Kurs damit klar sein. 
  • Auch der ÖVP sind die Eskapaden während der letzten Regierung mit den Freiheitlichen erinnerlich. Auch wenn man es nicht gerne zugibt: Es gibt auch Schwarze die sich für die Ausplünderung Österreichs unter den Kabinetten Schüssel schämen und dererlei lieber nicht wiederholt sehen möchten.
Summa summarum ist das Abschneiden der FPÖ für jeden einigermaßen intelligenten Österreicher ohne nazistische Reflexe ein unangenehmes Ärgernis, aber lange nicht die Katastrophe, als die es teils dargestellt wird. Es ist vielmehr der Auswuchs einer hilflos-dämlichen Regierungspolitik, der grundsätzlichen Populismusanfälligkeit der Österreicher und eines rechtskonservativen Grundklimas in diesem Land. Diese Infektion schlummert schon lange, jetzt ist sie nur wieder einmal offen ausgebrochen. Die FPÖ ist nur das Fieberthermometer mit dem man den Schweregrad von Morbus Austriacus misst. Früher oder später wird sie sich wieder selbst zerfleischen, die Krankheit aber wird bleiben.

Freitag, 27. September 2013

Das Gleichgewicht des Schreckens, oder: Eine Autopsie der großen Koalition

Wie kaum je zuvor in der österreichischen Wahlkampfgeschichte scheint eine Neuauflage der großen Koalition schon von vornherein eine ausgemachte Sache zu sein, wenn die Mehrheit hält. Die Großparteien betreiben für einige Wochen eiskalte Klientelpolitik, um sich dann wieder auf das untere Mittelmaß zu verständigen. Von sozialdemokratischen und christlichsozialen Inhalten sind längst nur noch Schlagworte übrig geblieben, man führt einen diffusen Wettbewerb um die Stimmen der Wähler: Eine Autopsie.

Ein Satz in zunächst ab-, dann wieder aufsteigender Betonung, ein einstudierter Schenkelklopfer, das letzte Wort so ausgesprochen, dass man den Punkt förmlich hören kann, ein kurzes Gefriertruhenlächeln, ein Applaus vom mitgebrachten Publikum: Michael Spindelegger. Ein biederer Mittelständler mit biederer Mittelstandsfrisur, Haus am Stadtrand, Frau, zwei Kinder. Müsste man ihn mit einer Farbe beschreiben, es wäre wohl grau. Mit so jemandem gewinnt man keine Wahlkämpfe. Ein Spitzenkandidat muss Sicherheit vermitteln, aber auch ansatzweise aufregend sein. Michael Spindelegger ist das nicht. Deshalb hat man ihn gecoacht. Das machen alle, aber er braucht es besonders, meint die ÖVP. Man hat eine deutsche Firma engagiert, die hat schon für die SPD gearbeitet. Man hat ihm beigebracht schöne Achterbahnsätze zu sprechen:
 „Du sitzt schon viel zu lange im Bundeskanzleramt, da musst du mal raus [PUNKT]
So hört sich Michael Spindelegger, der ehemalige Sparkassensekretär aus Mödling, jetzt an. Aber das ist er nicht. Ein Sturm im Wasserglas, ein Koalabär auf Ecstacy... viele Vergleiche fallen einem ein, zu dem gecoachten Politprodukt, das die Österreichische Volkspartei ins heurige Rennen um die Kanzlerschaft der Republik schickt. „Ich möchte Kanzler werden.“ Spindelegger möchte überzeugend klingen. Aber ist er auch überzeugt? Noch wichtiger: Kann er die Menschen überzeugen von seinem Produkt? Er ist authentisch, sagt er. Er will es durchziehen. Das ist Endzeitoptimismus, könnte man sagen. Josef Bucher versteht das.

Werner Faymann, der Gegner im ungleichen Duell um die Vormachtstellung in einer zerrütteten Ehe, hat das nicht nötig: Er ist der Bundeskanzler. Die SPÖ wird auch bei dieser Wahl womöglich Stimmen verlieren. Aber alles ist gut, solange die ÖVP noch mehr verliert. Auch Werner Faymann hat bei einer Sparkasse gearbeitet. Die Banken mag er trotzdem nicht so gerne. Früher ist er Taxi gefahren, heute fährt er Österreich - gegen die Wand, sagen manche. Wenn sein Bild in deutschen Unterhaltungsquizsendungen gezeigt wird, erkennt ihn niemand. Aber das macht ihm nichts: Faymann will nicht Stefan Raab schlagen, sondern Michael Spindelegger. Solange man den im Ausland noch weniger kennt, solange man sich in Brüssel beschwert, der Außenminister sei nie auf Räten anzutreffen, ist alles gut für Werner Faymann. Angela Merkel hat ihn als Mann ohne Meinung beschrieben, aber dafür ist Arnold Schwarzenegger auf Besuch gekommen. Der ist auch Ausland, irgendwie. Spindelegger hat nur einen der Klitschko-Brüder aufgetrieben und schaut neben ihm noch viel hingespuckter aus. „Kein Sieg ohne Kampf.“ sagt der Boxer aus der Ukraine. Es ist der Kampf des Michael Spindelegger, aber es wird wohl ein Sieg für Werner Faymann. Arnold Schwarzenegger hat nichts gesagt, Gott sei Dank. Der Bundeskanzler hat im Fernsehen ein Auto geschoben. Zwar nur kurz, aber welcher Bundeskanzler macht das schon? Spindelegger hat nur seine Achterbahnsätze gesagt und bestätigt, dass er authentisch ist.

Die Opposition hat in diesem Ehekrach eigentlich nichts verloren. Man streitet vor allem miteinander, mit den anderen eher nebenher. Der Vizekanzler soll rechts sitzen, also von der Kamera aus, sagt sein Generalsekretär aus Tirol. Er hat beim Würfeln gewonnen. Der Sitzplatz sei ihm grade so in den Sinn gekommen. Er lügt, der Generalsekretär, er lacht dann immer so komisch. Er lacht überhaupt immer sehr viel. Spindelegger warnt vor Rot-Grün. Dann müsse man auf der Autobahn hinter den Fahrradfahrern herfahren, sagt er, und jedem, der mehr als 150.000 Euro hat, wird was weggenommen. Eine Emphase auf dem letzten Wort, ein künstliches Grinsen, Applaus.
Faymann sagt, man müsse Österreich vor Schwarz-Blau schützen. Was da so alles droht, muss er nicht dazusagen. Das weiß schon jeder: Postenschacher, ominöse Inserate, schwindlige Vergaben - alles Dinge die nicht zur SPÖ passen. Die Banken sollen auch gerecht besteuert werden. Der Bundeskanzler spielt gerne Karten mit seiner Tochter, aber die ist besser. Viel zu viele Regeln gibt es in Österreich sagt Michael Spindelegger, das hat auch der Frank gesagt. ATV hat vergessen die Fliesen zu verfugen, die man ihm als Symbol für die Gewerbeordnung gezeigt hat. Er ist auch Heimwerker, sagt er. So sieht österreichische Politik jetzt aus.

Werner Faymann, schreibt Norbert Darabos, möchte mit seiner sicheren Hand für jeden Arbeitsplatz kämpfen. Ingrid Thurnherr fragt den Bundeskanzler warum in SPÖ-geführten Ministerien so viele Menschen als Sachaufwand abgerechnet werden. Das habe es schon immer gegeben, sagt der Kanzler, der Aufnahmestopp halte und überhaupt, die Verwaltungsreform... Nach zwei Sätzen hat er das Thema gewechselt, das ist gut für ihn - in diesem Fall. Er selbst gibt sich nicht so schnell geschlagen, als er Josef Bucher auf die Haftungen für die Hypo-Alpe-Adria festnageln will, mit sicherer Hand.

Die Frauen sind wichtig für die SPÖ sagen die Umfragen, drei Tage vor der Wahl gibt es ein Frauenpaket. Da nimmt man die Forderungen von bisher und arrangiert sie neu, das ist gut für die Frauen, sagt der Kanzler. Die ÖVP weiß nicht mehr, wer für sie gut ist. Ja, die Fleißigen sicher, aber das wollen alle sein. Die Wirtschafter? Die versteht jetzt ein anderer besser, auch wenn sie ihn nicht immer verstehen. Die Liberalen? Die wollen diesmal wieder selbständig scheitern. Der Mittelstand? Das sind die gleichen wie die Fleißigen. Aber Rot-Grün will generell 80 km/h einführen. Viele ÖVP-Wähler fahren mit dem Auto. Das kann man plakatieren. Generell, das heißt auf Landstraßen. Im schwarz regierten Vorarlberg ist das praktisch schon jetzt überall so. Aber für Zusatzinformationen ist kein Platz auf den Wahlplakaten. Kinder mit Schokoladegesicht! Jeder mag Kinder, jeder mag Schokolade: Vielleicht mag dann auch jeder Michael Spindelegger? Einen Versuch ist es wert. Das mit den Faymannsteuern hat diesmal nicht so gut funktioniert, dabei ist die ÖVP sonst eh gut im Wahlkampfwortepoker. Die SPÖ hat ihre Plakate diesmal selber gemacht, das sieht man. Die von der ÖVP sind auch aus Deutschland, wie die Coaches. Deutsches funktioniert nicht immer in Österreich, diesmal vielleicht doch, hofft die ÖVP.

Der Bundeskanzler möchte Ganztagsschulen bauen und die Leute dann fragen, ob sie das wollen. Der Vizekanzler möchte die Leute vorher fragen und dann bauen, damit die Leute in zehn Jahren - die man nicht gefragt hat - dann eine Ganztagsschule haben. Welche Lösung ist die bessere? Oft recht schwierig, wenn ÖVP und SPÖ sich darum streiten, wer weniger schlecht ist.

Montag, 19. August 2013

Wie schwarz sind die NEOS? oder: Kann man die wählen?

Die ÖVP ist für manche Ihrer Kinder wie eine verbitterte Großmutter. Manchmal erzählt sie vom Krieg und wie der Figl den Staatsvertrag ganz allein erreicht hat. Dann raunzt sie über die Schwulen und die Ausländer, gegen die sie ja eigentlich nix hat, aber... Kurzum, für manche ist sie ein einziger Bremsklotz für die gesellschaftspolitische Weiterentwicklung der Republik. Darum gibt es jetzt die NEOS. Die sind jung und hipp und unverstaubt, wollen alles Mögliche rrrraus und vieles andere rrrreinbringen in die Politik und so... Aber irgendwie hängt ihnen nicht nur personaltechnisch der schwarze Mief nach. Wie viel ÖVP steckt eigentlich unter dem rosa Mantel?

Eines kann man der neuen Politbewegung nicht absprechen: Sie profiliert sich in der Öffentlichkeit mit einer vertrauenserweckenden Sachlichkeit und dem Mut Politik nicht als Produkt verkaufen zu wollen. Gerne wird auch zugegeben, dass man nicht auf alles eine Antwort habe, ein Selbsteingeständnis das man heute bei sonst keiner Partei mehr findet. Oft hat es auch den Anschein als ringe da eine liberale Parteiführung mit der strukturkonservativen Basis. Für Forderungen wie dem Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare haben die NEOS lange gebraucht. Die ÖVP hat das bis heute nicht geschafft, nicht zuletzt weil Politiker wie Maria Fekter regelmäßig Weihwasser schwitzen, wenn sie auch nur auf Schwulenrechte angesprochen werden. Die NEOS, so hat man den Eindruck, wollen es vor allem auch in diesem Punkt anders machen: Politik soll sich an der Gesellschaft orientieren, so wie sie ist und nicht so wie man sie gerne hätte.
„Es ist das generelle Verständnis, auf dem Neos aufbaut, dass man bereit ist, Fakten anzuerkennen, anstatt sich der Realität zu verweigern.“ Claudia Gamon im Standard
Trotzdem hat man das christlichsoziale Erbe im Hinblick auf das Thema Homosexualität nicht ganz überwunden. Die eingetragene Partnerschaft soll der Ehe zwar gleichgestellt werden, so heißen darf sie aber nicht.
„Wir haben da lang diskutiert. Und es gibt auch sehr wertkonservative Kirchgänger bei uns. Die haben gesagt: Uns ist es ein Anliegen, dass wir das nicht Ehe nennen.“ Matthias Strolz in der Presse
Das ist so vernünftig als würde man fordern, dass Tankstellen zukünftig Superbenzin in zwei verschiedenfarbigen Zapfsäulen anbieten müssen. Wo bleibt der frische Wind, wenn man zwar Gleichberechtigung fordert, aber aus offensichtlich theologischen Überlegungen das alte Etikett drauflassen will?

Die NEOS haben ein innovatives Bildungskonzept, das sich tatsächlich am Stand der Wissenschaft und nicht am Stand der Gewerkschaft orientiert. Nicht einmal die Grünen können heutzutage ein Schulprogramm vorlegen, das ausschließlich pädagogischen und nicht ideologischen Richtlinien folgt. Während die ÖVP noch ihrem Lehrer-Lämpel-Image frönt in dem sie ihr Elitendenken im Gymnasium einzementiert sehen möchte und erst seit kurzem begonnen hat sich, wenn auch nur etwas, von einer Lehrergewerkschaft zu distanzieren deren Kompromissbereitschaft zwischen ein und zwei Grad Kelvin pendelt, fordern die rosaroten Meuterer volle Autonomie in Fragen des Schultyps und freie Schulwahl.

In vielerlei Hinsicht sind die NEOS eine entschlackte ÖVP. Sie verzichten auf die xenophobe Nerzmantelmafia aus dem ersten Bezirk und auch auf die Innovationskompetenz eines Fritz Neugebauer. Der geht selbst der ÖVP schon seit Jahren so auf die Nerven, dass man ihn zum Zweiten Nationalratspräsidenten gemacht hat, im Glauben er wäre dann ruhiger. Genutzt hat es nichts. Die Schwarzen kommen scheinbar nicht mit ihren Altlasten zurecht, den personellen und den ideologischen. Der Landeshauptmann von Vorarlberg lässt eingetragene Partnerschaften nur in der Abstellkammer zu, der Bürgermeister von Graz öffnet den Trausaal erst nachdem er ein VfGH-Erkenntnis studiert hat und der oberste Lehrergewerkschafter stellt allen Ernstes fest, dass es eine Gesetzesbegutachtung zum neuen Lehrerdienstrecht ohne Zustimmung der Gewerkschaft gar nicht geben könne. Auch bei Bienenschutz und Mafiaparagraf brauchte es erst öffentliche Empörung um die ÖVP von ihrem Kurs abzulenken.

Freilich, die NEOS wollen es anders machen und in den oben genannten Punkten würden sie das auch. Ihr Wahlprogramm strotzt nur so vor reformatorischer Begeisterung, da schießt man auch manchmal über das Ziel hinaus: Man fordert ein personalisiertes Verhältniswahlrecht bei dem 75% der Mandate direkt vergeben werden sollen, wobei es schwer sein dürfte mit den restlichen 25% Proportionalität herzustellen. Der Bundesrat soll abgeschafft werden, dass er dem selbst zustimmen muss und eine Gesamtänderung der Bundesverfassung samt Volksabstimmung fällig wäre, bremst die NEOS nicht. Regierungsmitglieder sollen sich einem Hearing im Nationalrat stellen, auch wenn für deren Ernennung ausschließlich der Bundespräsident zuständig ist. Die Länder sollen entweder die Steuerhoheit bekommen oder abgeschafft werden. Die Parteienförderung soll um 75% gekürzt werden, was ein doch eher populistischer denn realistischer Ansatz sein dürfte. Die Sozialpartner sollen nicht mehr in Begutachtungsverfahren eingebunden werden. Der Güterschienenverkehr soll zum Wirtschaftsministerium wandern, der restliche Schienenverkehr beim BMVIT bleiben. In Fragen EU wird man dann etwas größenwahnsinnig und abstrus. Einerseits fordern die NEOS - doch etwas deftig für eine außerparlamentarische Oppositionspartei im bevölkerungsmäßig 15.-größten EU-Land - einen neuen, direkt gewählten EU-Verfassungskonvent einzusetzen, andererseits soll der Rat zur zweiten Parlamentskammer aufsteigen. Einer Forderung die wohl einige in Versuchung führen würde Margret Thatcher zu zitieren. Außerdem sollen die Ratsvertreter direkt gewählt werden, gleichzeitig aber will man das „Stimmverhalten aller Regierungsvertreter_innen bei Abstimmungen ... restlos offen[legen]“. Spätestens hier beschleicht einen der Verdacht, dass die NEOS in diesem Punkt ihre eigenen Ideen nicht verstanden haben. Man kann kaum verlangen, dass direkt gewählt wird und gleichzeitig annehmen, dass die Vertreter im Rat dann weiterhin Regierungsmitglieder sein werden, es sei denn man ist von der Aussichtslosigkeit der ersten Forderung überzeugt und hängt die zweite daher quasi in eventu dran.

Der ÖVP-ness-Faktor der NEOS mag in gesellschaftspolitischen Fragen niedriger sein, in wirtschaftspolitischen ist er kaum zu übersehen. In manchen Punkten werden die Schwarzen von der neuen Bewegung sogar auf der Autobahn des Neoliberalismus überholt. Die NEOS sind die Einzige Partei, die die umstrittene Exploration von Schiefergasfeldern unumwunden befürwortet. Sie fordern eine Liberalisierung der Landenöffnungszeiten, die Anhebung des Höchststeuersatzes, die Abschaffung der Gesellschaftssteuer, die Erhöhung der Grundsteuer, Privatisierung staatlicher Unternehmungen, Einfrieren aller Gehälter im öffentlichen Dienst auf fünf Jahre, die Gebietskörperschaften und Kammern sollen „Konzernbilanzen“ vorlegen und automatische Gehaltssprünge für Arbeitnehmer sollen geändert oder gleich abgeschafft werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

Das Projekt NEOS ist ambitioniert und gut gemeint. Vermutlich würde die Partei im Parlament nicht schaden, aber soll man sie deshalb wählen? Die Rosaroten sind Fleisch vom Fleisch der ÖVP. Ihr Parteichef Strolz wird als politischer Ziehsohn von Karlheinz Kopf bezeichnet, sie lassen sich von Erhard Busek beraten und verweisen in ihrem Programm direkt auf das Steuerkonzept der Industriellenvereinigung. Vielleicht ist man die katholische Moral der ÖVP, wenn auch nicht immer zum Vorteil, losgeworden. Möglicherweise sind die NEOS auch so korrekt, transparent, leistungsorientiert und fortschrittlich wie sie sich geben und ja, sie verzichten im Gegensatz zur großmütterlichen Volkspartei auf den vorgeblich christlichen Anstrich. Aber eines haben sie mit ihr jedenfalls gemeinsam: sozial sind beide nicht.

Montag, 10. Juni 2013

Golanorama, oder: Warum es besser war zu gehn.

Österreich zieht seine Truppen vom Golan zurück. Nach fast 40 Jahren Friedensmission hält die Bundesregierung das Sicherheitsrisiko für die heimischen Soldaten für nicht mehr überschaubar. Zunächst waren das Echo der internationalen Gemeinschaft und der Medien von bedauerndem Verständnis geprägt, doch jetzt schlägt die Stimmung in Häme um. Warum das Bundesheer den Golan trotzdem rasch verlassen sollte:

Als Israel im Sechstagekrieg 1967 von seinen arabischen Nachbarn angegriffen wurde, gelang es ihm die syrischen Truppen vom strategisch wichtigen Golan zu vertreiben und die Anhöhe dauerhaft zu besetzen. Der UNO-Sicherheitsrat empfahl noch im selben Jahr mit seiner Resolution 242 den Rückzug der israelischen Truppen im Abtausch mit einer Existenzgarantie durch die Nachbarstaaten. Keine der involvierten Seiten zeigte jedoch Interesse an solch einem Abkommen, womit der Status Quo einzementiert wurde. Um die Angespannte Lage zwischen den Konfliktparteien zu kontrollieren entsandten die Vereinten Nationen 1974 eine Beobachtermission auf den Golan, nachdem dort eine Pufferzone zwischen Syrien und dem besetzten Gebiet eingerichtet werden konnte. Die Lage verschärfte sich erneut, als Begin und Scharon 1981 in der Knesset ein Gesetz durchbrachten, mit dem der Golan de facto annektiert wurde. Die UNO erließ daraufhin die Sicherheitsratsresolution 497 und stellte fest:
„...that the Israeli decision to impose its laws, jurisdiction and administration in the occupied Syrian Golan Heights is null and void and without international legal effect.“
An der Lage am Golan änderte sich dadurch trotzdem wenig. Auf der einen Seite züchteten israelische Siedler Wein und Gemüse, auf der anderen weideten arabische Nomaden ihr Vieh. Dazwischen standen ein paar hundert Österreicher und schauten durch ihre Ferngläser.  Das UN-Mandat entwickelte sich in der Folge zu einem der langfristigsten und wurde 39 Jahre lang alle sechs Monate verlängert. Den österreichischen Soldaten war vor allem eines: fad. Während es zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon immer wieder kriselte war der Golan jahrelang die ideale Gelegenheit um als Zeitsoldat gutes Geld zu verdienen. Keine renitenten Albaner und Serben wie im Kosovo und ein gemütliches Fernglas-Mandat mit nur beschränkten Eingriffsrechten. 

Dann kam der syrische Bürgerkrieg und mit ihm wurde der beschauliche Beobachtungsauftrag zum Problem. Nach negativen Erfahrungen in der Vergangenheit ist der Sicherheitsrat mittlerweile dazu übergegangen nur noch sogenannte „robuste Mandate“ nach Kapitel VII. der Charta der Vereinten Nationen zu erteilen. Solche Mandate erlauben es den Blauhelmen den gefährdeten Frieden notfalls mit Waffengewalt durchzusetzen. Die Golan-Mission basiert allerdings auf dem VI. Kapitel der UN-Charta nachdem der Sicherheitsrat nur Empfehlungen aber keine bindenden Beschlüsse abgeben kann. Die Soldaten stehen daher herum und schauen zu, wie zum Beispiel in Srebrenica. Eine Aufwertung des Mandates für die Truppen am Golan wurde immer wieder diskutiert, aber letztlich bis dato nicht beschlossen. Dass die österreichische Bundesregierung auf Basis einer so schwachen Rechtsgrundlage ihre Militärangehörigen nicht länger der Gefahr bewaffneter Überfälle von syrischen Rebellen oder gar einem Konflikt mit Israel aussetzen wollte, ist verständlich. Das Ende des europäischen Waffenembargos gegen Syrien unterstreicht die Notwendigkeit dieser Entscheidung zusätzlich.

Abseits der völkerrechtlichen, humanitären und militärischen Überlegungen wird im Vorfeld und nach solchen Entscheidungen immer politisches Kleingeld gemünzt. Michael Spindelegger ist es gelungen sich öffentlichkeitswirksam - zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt als Außenminister - zu profilieren. Nicht einmal ein Anruf von US-Außenminister Kerry konnte ihn davon abhalten den Truppenabzug letztlich zu befürworten. Die SPÖ konnte in dieser Sache nur in viel geringerem Umfang Aufmerksamkeit erlangen, obwohl sie nicht nur den Bundeskanzler und den Oberbefehlshaber des Bundesheeres, sondern auch den Verteidigungsminister stellt. Dass sich der Außenminister zum Teil massiv in militärische Führungs- und Bewertungsfragen eingemischt hat, stieß beim Koalitionspartner auf kein hörbares Echo.
Auch Israel verfolgt letztlich nur Eigeninteressen, wenn es nun den österreichischen Rückzug kritisiert. Das Land, so Premierminister Benjamin Netanjahu, könne eben nur selbst für seine Sicherheit sorgen und dürfe sich nicht auf andere verlassen. Mit Blick auf die sozial und finanziell angespannte Lage weiter Teile der israelischen Gesellschaft dient diese Aussage wohl nicht nur der inneren Festigung seines Landes sondern auch als Warnung vor einer militärische Austeritätspolitik. Die Stimmen der Dankbarkeit für den beinahe 40 Jahre andauernden Friedenseinsatz des Bundesheeres verstummten im Geplänkel der israelischen Innenpolitik daher schnell.

Letztlich hat es sich die heimische Politik aber nicht leicht gemacht. Der Abzug wurde immer wieder hinausgeschoben, man wollte es sich mit der UNO, den Amerikanern und Israelis nicht verderben. Die desaströse Vorstellung im Wahljahr rot-weiß-rot beflaggte Holzkisten vom Golan heimfliegen zu müssen erwies sich aber letztendlich als gefährlicher, als die Weltgemeinschaft vor den Kopf zu stoßen. Einen weitreichenderen Konflikt hätten die Blauhelmsoldaten unter dem gegebenen Mandat ohnehin nicht verhindern können. So hat die österreichische Schrebergartenpolitik vielleicht immerhin Verluste auf deren Seite verhindert.