Dienstag, 19. März 2013

Die Verkühlung, oder: Ich brauche keinen HIV-Test.

Körperlich geschwächt und mit zubetoniertem Schädel hatte ich mich vor ein paar Monaten mit letzter Kraft in die Apotheke geschleppt: „Ich hätte gerne ein Aspiringenerikum.“ bat ich die pharmazeutische Assistentin. „Das gibt es nicht.“ antwortete diese schnippisch. Wäre ich gesund gewesen, ich hätte mich vielleicht aufgeregt, aber so beschränkte ich mich auf das Notwendigste: „Na sicher gibt's das.“ Sie schaute etwa konsterniert und meinte dann: „Aso, sie meinen Generika.“ Sie müssen mir verzeihen, dass ich meinem klugscheißerischen Bildungsauftrag an dieser Stelle nicht nachkam und einfach die Packung Acetylsalicylsäure kaufte, ohne der unhöflichen Schmalspurpharmakologin die Pluralbildung neutraler Nomen der O-Deklination im Lateinischen zu erklären. Beim Preis von 95 Cent für 20 Tabletten war mir natürlich auch klar, warum sie mir lieber Aspirin verkauft hätte. Aber wenn man krank ist, ist einem das eigentlich alles wurscht, denn krank sein lähmt die Sinne.

Leider gehöre ich zu der Sorte Menschen, die zwei bis drei Mal im Jahr von grippalen Infekten befallen werden. Keine gesunde Ernährung und keine Immunisierungstherapie hilft da was, sobald ich das erste Kratzen im Hals spüre weiß ich: Die nächsten Tage sind zum vergessen. Die größte Ironie dabei ist, dass die Menschheit nach 100 Jahren moderner Medizingeschichte zwar das Penicillin erfunden und die Pocken ausgerottet hat, aber noch immer unter so etwas lapidarem wie dem Grippevirus oder wirkungsverwandten Infekten leiden muss. Auch jetzt hat es mich wieder erwischt, diesmal so unangenehm, dass ich glatt zum Arzt gegangen bin. Versuchen Sie mal im 9. Bezirk einen Kassenarzt zu finden, ein schweres Unterfangen. Wenn einer auf Kasse arbeitet, dann nur dreimal die Woche am Nachmittag. Einen Universalmediziner, der am Montagvormittag ordiniert konnte ich erst nach einer halben Stunde googeln finden. Kurzer Anruf: „Ja, kommen Sie vorbei.“ Wunderbar. Ich komme hin und weil man bei manchen Ärzten erst anläuten muss, bevor man hineinkommt drücke ich auf die Klingel, nichts rührt sich, ich geh hinein. Offenbar hab ich das ganze Wartezimmer aufgeschreckt, alle Blicke haften auf mir. Das könnte aber, wie Sie gleich merken werden, auch andere Gründe haben.

Ich ziehe eine Nummer und lege ab. Aha, Broschüren für schwule und lesbische Jugendliche im Regal - sehr fortschrittlich. Ich setze mich hin, im Wartezimmer sitzen außer mir zehn Männer und eine Frau, die aber offensichtlich einen Mann begleitet. Als ich zur Rezeption gerufen werde gehe ich an einer Wand mit Bildern von halb nackten Männern entlang. Der Arzthelfer fragt mich gleich, ob ich zum Bluttest komme. Nein, ich bin verkühlt. Aha... Der Doktor ist sehr freundlich und hört aufmerksam zu, duzt mich aber, als ob wir alte Freunde wären. In der Ecke steht ein Bild von ihm und seinem Lebensgefährten. Er schickt mich gleich zum CT und Röntgenisieren, tatsächlich wird sich dort herausstellen, dass ich unter einer chronischen Nebenhöhlenentzündung leide. Vermutlich ein Überbleibsel einer verschleppten Lungenentzündung von vor zwei Jahren. Jaja, meint der Doktor und verschreibt mir ein Nasenspray, das - so sagt er - die Kasse nicht zahlt. Die Apothekerin wird später anderes behaupten, aber wurscht. Sicherheitshalber sollten wir noch Blut abnehmen meint er. Bitte, nur zu. Ob wir auch gleich einen gratis HIV-Test... Nein, das wird nicht nötig sein. Später werde ich die Ordination nochmal genauer googeln und feststellen, dass ich beim ersten Homepagebesuch das Feld „Gay Health“ wohl übersehen habe. Wenn die Sache mit der Kassenverrechnung nicht gewesen wäre, würde ich trotzdem die Höchstnote aussprechen. Mein Arzt kann ruhig homo sein, solang er kein Homöopath ist. Und wenigstens gab's keine plärrenden Kinder im Warteraum...

Am Abend schlug mein grippaler Infekt nochmal zu. Bis Donnerstag würde ich nicht arbeiten können. Unseligerweise waren drei von vier Leuten in der Abteilung krank, aber mehr als zuhause in die E-Mails schauen konnte ich nicht. Meine Chefin würde mir später mehr oder weniger vorwerfen, ich hätte sie angesteckt und sie werde mich in Zukunft offiziell krankmelden, weil ich könnte ja Tuberkulose haben und dann wäre sie schuld wenn sich wer ansteckt... nicht auszudenken. Wenn jemand krank ist, drehen sich ihre Gedanken immer sehr rührend um die rechtlichen und gesundheitlichen Folgen, die das für sie haben könnte. In Zukunft werde ich also kein Geld bekommen, wenn ich krank bin, super. Dafür habe ich mich am Donnerstag ins Büro geschleppt, ohne richtig gesund zu sein. Am Freitag bin ich dann auch noch zum großväterlichen 90er nach Vorarlberg gefahren. Den Wick-Wickel-Attacken meiner Mutter konnte ich dabei nur mit Not entkommen.

Was das Kranksein betrifft bin ich sowieso heikel: Essigpatschen und Hals-Wickel sind absolutes Teufelszeugt. Man könnte mich mit kaum etwas mehr foltern als mit einem Hals- oder Brustumschlag mit dieser kalten, klebrigen Mentholmasse. Lieber ließe ich mir vom Viet Kong Bambussprossen unter die Zehennägel treiben. Ansonsten nehme ich aber brav alles was nicht homöopathisch ist, also wirkt. Paracetamol und Aspirin in allen Varianten, vorzugsweise auch ein Dutzend der bekannten roten Halspastillen, auch wenn man wegen dem Herzen nur sechs am Tag nehmen soll. Am schlimmsten sind ja sowieso die Halsschmerzen, weil man da - erraten - nicht reden kann. Dann kommt der Schnupfen und dann der Husten... Am Ende fühl es sich an wie ein Kater, nur dass man sich um den Suff betrogen fühlt.

Mittlerweile habe ich eine Stimme als hätte Marlon Brando in der Pate mit Kehlkopfkrebs gespielt. Damit nehme ich jetzt meine Diensttelefonate entgegen, solange man mich lässt. Denn immerhin hat mich meine Chefin aufgefordert bei Krankheitssymptomen ruhig eher daheim zu bleiben, nur eben unbezahlt.